Das Harvard-Konzept
der Prozess des Umgehens mit dieser Substanz in den Brennpunkt des Verhandelns, die Verfahrensweise. Die erste Verhandlungsebene betrifft etwa Ihr Gehalt, Bedingungen eines Mietvertrags oder einen zu entrichtenden Preis. Die zweite Verhandlungsebene zielt auf die Art, wie Sie die Kernfrage behandeln wollen: weich oder hart um Positionen feilschen oder sonst auf irgendeine andere Weise. Diese zweite Verhandlungsebene ist gewissermaßen ein Spiel ums Spiel – ein »Meta-Spiel«. Jeder Zug innerhalb einer Verhandlung ist nicht nur ein Schritt, der die Miete, das Gehalt oder eine andere Kernfrage betrifft; er strukturiert auch gleichzeitig die Regeln Ihres Spiels mit. Man kann damit die Verhandlungen in der bisherigen Bahn halten; man kann aber damit auch einen Gegenzug auslösen, der das ganze Spiel ändert.
Diese zweite Verhandlungsebene entzieht sich weitgehend der Kenntnis, weil sie offenbar nicht im Bereich bewusster Entscheidungen liegt. Erst wenn man mit einem Ausländer verhandelt, der vielleicht noch dazu einen anderen kulturellen Hintergrund hat, steht man häufiger vor der Notwendigkeit, allgemein anerkannte Vorgehensweisen für die substanziellen Fragen zu erarbeiten. Bewusst oder nicht: mit jedem Zug, den Sie tun, verhandeln Sie auch über die Regeln des Verhandlungsablaufs bzw. der Verfahrensweise, auch wenn sich ein solcher Zug ausschließlich auf die Sache selbst zu beziehen scheint.
|34| Die Antwort auf die Frage, ob man lieber weich oder lieber hart um Positionen feilschen sollte, lautet: weder das eine noch das andere. Ändern Sie das Spiel. Im schon erwähnten Harvard Negotiation Project haben wir eine Alternative zum Feilschen um Positionen entwickelt, eine Verhandlungsmethode, die mit effizienten und gütlichen Verfahrensweisen ausdrücklich auf vernünftige Ergebnisse abzielt. Wir nennen dies
sachbezogenes Verhandeln
oder
Verhandeln nach Sachlage
(principled negotiation bzw. negotiation on the merits). Es beruht im Wesentlichen auf vier Grundaspekten.
Diese vier Punkte bestimmen eine, unter allen denkbaren Umständen anwendbare, offene und ehrliche Verhandlungsmethode. Jeder dieser vier Aspekte bezieht sich auf ein Grundelement des Verhandelns und zeigt deutlich, wie man damit umgehen soll.
Menschen:
Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln!
Interessen:
Nicht Positionen, sondern Interessen in den Mittelpunkt stellen!
Möglichkeiten:
Vor der Entscheidung verschiedene Wahlmöglichkeiten entwickeln!
Kriterien:
Das Ergebnis auf objektiven Entscheidungsprinzipien aufbauen!
Der erste Punkt bezieht sich darauf, dass menschliche Wesen keine Roboter sind. Wir haben starke Emotionen, aber häufig sehr unterschiedliche Vorstellungen und haben Schwierigkeiten, uns klar zu verständigen. Üblicherweise werden Emotionen mit der objektiven Sachlage des Problems versponnen. Wenn dann noch Positionen eingenommen werden, verschlimmert das die Sache weiter, denn das Ich der Menschen identifiziert sich mit ihren Positionen. Vor jeder Erörterung der Sachlage sollte daher das »menschliche Problem« abgelöst und getrennt davon behandelt werden. Bildlich gesprochen sollten sich die Partner Seite an Seite sehen, wie sie gemeinsam das Problem angehen – und nicht, wie sie aufeinander losgehen. Erste Voraussetzung also:
Menschen und Probleme getrennt behandeln.
|35| Der zweite Punkt soll die Beeinträchtigungen beseitigen, die durch Konzentration auf Positionen entstehen, damit bei der Verhandlung die jeweils dahinter stehenden Interessen befriedigt werden können. Verhandlungspositionen verdecken oft das, was Sie wirklich wollen. Ein Kompromiss zwischen Positionen berücksichtigt höchstwahrscheinlich nicht die menschlichen Bedürfnisse, die zu eben diesen Positionen geführt haben. Der zweite Grundaspekt heißt also:
Konzentration auf Interessen, nicht auf Positionen.
Der dritte Punkt bezieht sich auf Möglichkeiten, optimale Lösungen selbst unter Druck zu erzielen. Wenn Ihr Gegner bei Ihrer Entscheidung anwesend ist, so schmälert das Ihre eigenen Aussichten. Grenzlinien und die Suche nach der
einen
richtigen Lösung behindern jegliche Kreativität. Entgehen Sie diesen Zwängen. Ziehen Sie sich eine bestimmte vereinbarte Zeit zurück und denken Sie über die ganze Palette möglicher Lösungen nach, die alle gemeinsamen Interessen berücksichtigen und unterschiedliche Anliegen miteinander in Einklang bringen. Daher Punkt drei: Vor dem Versuch, ein Übereinkommen abzuschließen,
nach Möglichkeiten
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