Das Harvard-Konzept
niedergeschlagen, ängstlich, frustriert, beleidigt sein. Ihr Ich wird leicht erschüttert. Sie sehen die Welt im Licht ihres eigenen Vorteils und verwechseln recht oft ihre Vorstellungen mit der Realität. Gewöhnlich interpretieren die anderen Ihre Worte nicht in Ihrem Sinn und verstehen daher auch nicht, was Sie ihnen sagen wollten. Missverständnisse provozieren Vorurteile und Reaktionen, die wiederum Gegenreaktionen auslösen – ein endloser Kreislauf beginnt. Vernünftige Lösungsversuche werden unmöglich; die Verhandlungen scheitern. Das ganze Spiel zielt dann nur noch darauf, Punkte zu sammeln, negative Eindrücke zu verstärken und die Schuld zu verteilen; alles auf Kosten der sachlichen Interessen beider Seiten.
Fühlt man sich beim Umgang mit anderen nicht in deren menschliche Seite ein, wird das möglicherweise für die Verhandlung verhängnisvoll. Was immer man auch gerade bei einer Verhandlung |44| von Anfang bis Ende unternimmt, man sollte sich fragen: »Achte ich genügend auf die menschlichen Probleme?«
Jeder Verhandlungspartner hat zwei Grundinteressen: Das eine bezieht sich auf den Verhandlungsgegenstand, das andere auf die persönlichen Beziehungen
Jeder Verhandlungspartner sucht nach Übereinkünften, die seine sachlichen Interessen befriedigen. Darum verhandelt er ja. Darüber hinaus hat er aber auch ein Interesse an seiner Beziehung zur Gegenseite. Der Antiquitätenhändler möchte Profit machen und zugleich den Käufer als Stammkunden gewinnen. Zumindest will jeder Verhandlungspartner bestehende Beziehungen so gut erhalten, dass womöglich ein annehmbares Übereinkommen gemäß den beiderseitigen Interessen zustande kommt. Normalerweise geht es aber um mehr. Die meisten Verhandlungen finden im Rahmen einer dauernden Beziehung statt. Es ist daher wesentlich, jede Verhandlung so zu führen, dass die künftigen Beziehungen und künftigen Verhandlungen gefördert und nicht etwa beeinträchtigt werden. Tatsächlich ist die Aufrechterhaltung der Beziehung zu langjährigen Kunden, Geschäftspartnern, Familienmitgliedern, Berufskollegen, Beamten oder anderen Nationen weit wichtiger als das Ergebnis irgendeiner speziellen Verhandlung.
Persönliche Beziehungen vermischen sich leicht mit den anstehenden Problemen
Eine wichtige Konsequenz des »Problems Mensch« besteht beim Verhandeln darin, dass persönliche Beziehungen zwischen den Parteien leicht mit sachlichen Auseinandersetzungen vermengt werden. Ob wir geben oder nehmen – wir tendieren immer dazu, Menschen und |45| Probleme in einen Topf zu werfen. Wenn in einer Familie der Satz fällt »Die Küche ist ein einziges Durcheinander« oder »Unser Konto ist überzogen«, so mag damit schlichtweg ein bestimmtes Problem gemeint sein, aber man kann es auch leicht als persönlichen Angriff verstehen. Der Ärger über eine missliche Situation verleitet einen leicht, seinen Unmut gegenüber Menschen auszudrücken, mit denen sich dies alles verbindet. Oft bezieht man das Ich in sachliche Positionen mit ein.
Ein anderer Grund für die Vermischung der sachlichen Probleme mit psychologischen Aspekten liegt darin, dass Menschen gerne aus sachlichen Erklärungen unzulässige Folgerungen ableiten, die sie dann als Belege für die Absichten und Vorsätze der Gegenseite ansehen. Selbst bei aller Vorsicht läuft dieser Prozess fast automatisch ab. Wir nehmen nur selten an, dass die Darlegungen der anderen wirklich so gemeint sind. Beim Beispiel mit dem Betriebsrat glaubte Schmidt, dass der Vorarbeiter es auf ihn abgesehen hatte – während Meier dachte, ihm durch die Übertragung von Verantwortung Anerkennung zu zollen und einen Gefallen zu erweisen.
Feilschen um Positionen bringt persönliche Beziehungen und Sachprobleme in Kollision
Wird eine Verhandlung zum Kampf über den stärkeren Willen bei der Behauptung von Positionen, wirkt sich der Vermischungsprozess noch verhängnisvoller aus. Ich betrachte Ihre Position als Erklärung, die aussagt, wie Sie sich den Ausgang der Verhandlung wünschen. Für mich beweist das, wie wenig Sie sich um unsere Beziehungen kümmern. Nehme ich selbst eine harte Position ein, die Sie für unvernünftig halten, so nehmen Sie an, dass dies auch für mich eine extreme Ausgangsstellung darstellt, und schließen daraus, dass mir unsere Beziehungen – und Sie selbst – nicht sonderlich viel bedeuten.
Feilschen um Positionen betrifft also die sachlichen Interessen des Verhandlungspartners ebenso wie die guten Beziehungen zu
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