Das Haus der kalten Herzen
cbt – C. Bertelsmann Taschenbuch
Der Taschenbuchverlag für Jugendliche
in der Verlagsgruppe Random House
Für meine Großmutter Sybil, in Liebe
1. Auflage Deutsche Erstausgabe Februar 2010
Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
© 2005 Sarah Singleton
Die Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Century« bei Simon & Schuster UK Ltd, London.
© 2010 der deutschsprachigen Ausgabe bei cbt/cbj Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Übersetzung: Catrin Frischer
Lektorat: Bernd Stratthaus
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie
Werbeagentur, München – Zürich
Umschlagfotos: Maja Homen (Mädchen),
Gleb Vinnikov/Shutterstock (Eisenornament)
SE • Herstellung: ReD • GeB01uc2014
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-570-30647-5
Printed in Germany
www.cbt-jugendbuch.de
Prolog
Das Buch war in einer hölzernen Truhe versteckt gewesen, oben im Westflügel. Nachdem das Haus über Jahrzehnte leer gestanden hatte, wurde es nun renoviert. Einige verrottete Möbelstücke waren zurück geblieben, die Bewohner jedoch waren schon lange fort. Die schadhaften alten Dachschindeln mussten dringend erneuert werden. Arbeiter schleppten Truhen mit schimmelnden Lumpen vom Boden herunter, Blechschachteln voller Papiere, alte Lampenschirme, Berge von Samtgardinen. Staubbedeckt lagerten die vergessenen Sachen in der großen Eingangshalle. Das meiste würde auf der Müllkippe enden.
Ein Trödelhändler stöberte in den alten Sachen, er hoffte auf einen kostbaren Fund. Ein Ölgemälde vielleicht. Ein altes Gewand, unbenagt von Motten und Moder. Eine Vase, eine Schatulle mit Schmuck. Doch er konnte nichts finden. Sogar die Papiere waren langweilig, verblasste Haushaltsbücher, in denen die Ausgaben für Lebensmittel in Pfund, Shilling und Pence genau aufgelistet waren.
Er öffnete die hölzerne Truhe. Eine beißende Wolke von Staub stieg auf, es wimmelte von Spinnen.
Der Mann zog Überreste von Kinderkleidern heraus, in denen Mäuse ihre Nester gebaut hatten.
»Nichts«, sagte er. »Wertlos.« Dann grub er etwas tiefer und fand etwas. »Augenblick«, sagte er hustend. »Was ist das denn?«
Er holte ein Buch aus der Truhe, mit einem Einband aus ausgeblichenem roten Leder und abgestoßenen Ecken. Es war wie ein Paket verschnürt und mit einem dicken Band umwickelt, das mehrfach verknotet war.
Der Mann zog ein Taschenmesser aus der Tasche und schnitt das Band durch. Er schlug das Buch auf, blätterte darin, las einen Moment und klappte es dann mit einem Knall wieder zu.
»Ein Roman«, sagte er. »Eine Art Liebesgeschichte. Hat kaum einen Wert, aber die Geschichte interessiert Sie vielleicht. Hier, schauen Sie.«
Er reichte mir das Buch.
D AS H AUS DER KALTEN H ERZEN
Ein Roman
von Mercy Galliena Verga
1890
Eins
Eine Frau unter dem Eis.
Ein Geist. Mercy konnte Geister sehen, den Widerhall von Menschen, die gestorben waren. Die Toten gingen hinüber in eine andere Welt, in den Himmel vielleicht oder nach Walhalla, wenn sie Wikinger waren. Manchmal ließen sie Spuren von sich zurück, in etwa so wie Fetzen, die aus einem Kleid gerissen, oder Haare, die an einem Nagel hängen geblieben waren. Doch die Geister waren natürlich körperlos und die Risse Orte, an die Menschen sich klammerten, weil dort etwas Wichtiges passiert war. Vielleicht, dachte Mercy, musste man dazu noch nicht einmal tot sein. Vielleicht hatte sie selbst auch schon einen Geist hinterlassen.
Die Frau unter dem Eis. Der Teich war ein schwarzes Loch unter Bäumen hinter der Brennereiwiese. Es war die Stunde vor dem Sonnenaufgang, der Himmel im Osten war blass geworden. Bereifte Felder erstreckten sich ringsum.
Mercy war müde. Sie war ein dünnes, mürrisch wirkendes Mädchen mit einem verschlossenen Gesicht und der Neigung, stundenlang vor sich hin zu brüten. Ihre Haare waren dick und schwarz, ihr Mantel dunkel. Sie war mitten über die Wiese gelaufen. Jetzt waren ihre Beine schwer und steif und der Kopf tat ihr weh. Die Nacht war zu Ende – und das war das Ende ihres Tages. Die Familie Verga erwachte stets kurz nach Sonnenuntergang und ging vor dem Morgengrauen zu Bett.
Mercy saß auf der kalten Bank am Teich und stieß ihre Stiefelspitze ins Eis. Dick schien es zu sein. Dann sah sie die Frau, die Geisterfrau, das Gesicht war nach oben gekehrt und sah ganz verschwommen aus, fließendes dunkles
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