Sarah Maclean
Mit neun verruchten Dingen einen Lord bezwingen
Jemanden leidenschaftlich küssen
Eine Zigarre rauchen und Whisky trinken
Im Herrensitz reiten
Fechten
Bei einem Duell dabei sein
Eine Pistole abfeuern
Spielen (in einem Herrenclub)
Auf einem Ball keinen einzigen Tanz aussetzen müssen
Wenigstens ein Mal als schön betrachtet zu werden
London, April 1813
Mit Tränen in den Augen flüchtete Lady Calpur-
nia Hartwell aus dem Ballsaal von Worthington
House, wo sie ihre jüngste und schrecklichste
Niederlage erlebt hatte. Die Nachtluft war angenehm frisch
mit einem Hauch von Frühling. Sie rannte die breite Marmor-
treppe hinunter, von Verzweiflung vorwärtsgetrieben, und hi-
naus in die dunklen Schatten des nächtlichen Parks. Sobald
sie außer Sichtweite war, stieß sie einen tiefen Seufzer aus
und verlangsamte ihre Schritte. Endlich in Sicherheit. Ihre
Mutter wäre außer sich vor Zorn, wenn sie ihre älteste Toch-
ter draußen ohne Anstandsdame erwischte, doch nichts hätte
Callie bewegen können, länger in diesem schrecklichen Ball-
saal zu verweilen.
Ihre erste Saison war ein kompletter Misserfolg.
Seit ihrem Debüt war nicht einmal ein Monat vergangen. Als
älteste Tochter des Earl und der Countess of Allendale hätte
Callie eigentlich strahlender Mittelpunkt des Balls sein sol-
len; sie war zu diesem Leben erzogen worden, zu anmutigem
Tanz, vollkommenen Manieren und atemberaubender Schön-
heit. Genau da lag natürlich das Problem. Callie mochte ja eine
gute Tänzerin sein und über vollkommene Manieren verfügen,
aber eine Schönheit? Sie war ziemlich realistisch veranlagt und
wusste nur zu gut, dass sie das bestimmt nicht war.
Ich hätte wissen müssen, dass das eine einzige Katastrophe
werden würde, dachte sie und ließ sich auf einer Marmorbank
am Eingang des Heckenlabyrinths nieder.
Seit drei Stunden war sie nun schon auf dem Ball und bisher
kein einziges Mal von einem Gentleman aufgefordert worden,
der diese Bezeichnung tatsächlich verdient hätte. Nach zwei
stadtbekannten Glücksrittern, einem fürchterlichen Langwei-
ler und einem Lord, der keinen Tag jünger als siebzig sein konn-
te, war Callie einfach nicht mehr in der Lage, Freude zu heu-
cheln. Offenbar war sie für den ton wenig mehr wert als die
Summe ihrer Mitgift und ihrer Herkunft - und selbst in Kombi-
nation reichte das nicht aus, sie mit einem Tanzpartner zu ver-
sorgen, der ihr tatsächlich sympathisch war. Nein, im Gegenteil,
Callie war von den beliebten und begehrten Junggesellen den
Großteil der Saison schlicht übersehen worden.
Sie seufzte.
Dieser Abend war bisher der schlimmste gewesen. Als reichte
nicht schon, dass sie nur von Langweilern und Großvätern auf-
gefordert wurde, an diesem Abend hatte sie dazu auch noch die
Aufmerksamkeit des restlichen ton zu spüren bekommen.
„Ich hätte meiner Mutter nie erlauben dürfen, mich in die-
se Monstrosität zu stecken", murmelte sie vor sich hin und sah
an dem fraglichen Gewand hinab, auf die zu enge Taille, das zu
kleine Mieder, das ihre Brüste gar nicht halten konnte, die zu
allem Überfluss auch noch größer waren, als von der Mode vor-
gesehen. Sie war sich ganz sicher, dass keine Ballschönheit je in
einem so grellen Sonnenuntergangsorange geglänzt hatte. Oder
in einem so schrecklichen Kleid.
Das Kleid, hatte ihre Mutter ihr versichert, sei ganz gewiss der
allerletzte Schrei. Als Callie angemerkt hatte, dass das Kleid
ihrer Figur nicht besonders schmeichele, hatte die Countess ihr
rundweg erklärt, sie irre sich. Callie würde einfach überwälti-
gend aussehen, hatte ihre Mutter ihr versprochen, während die
Schneiderin um sie herumschwirrte und an dem Kleid zupfte,
zog und zerrte. Und während sie im Spiegel der Schneiderin
ihre Verwandlung verfolgte, kam sie allmählich zu dem Schluss,
dass ihre Mutter recht hatte. Sie sah in diesem Kleid tatsächlich
überwältigend aus. Überwältigend schrecklich.
Sie schlang die Arme fest um sich, um sich gegen die Abend-
kühle zu schützen, und schloss vor Demütigung die Augen. „Ich
kann nicht wieder zurück. Ich werde wohl einfach für immer
hier bleiben müssen."
Aus den Schatten drang ein tiefes, leises Lachen, worauf Cal-
lie erschrocken auffuhr. Sie konnte den Mann kaum erkennen,
während sie sich zu voller Größe aufrichtete und versuchte, ihr
wild klopfendes Herz zu beruhigen. Bevor sie noch an Davon-
laufen denken konnte, sagte sie, wobei in ihrer
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