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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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abwäscht, und starrte auf das Wasser, auf dem
dünne Eissplitter schwammen. »Was für
Sünden?« flüsterte er. Das Alabastergesicht der
Witwe Benedicta hinter dem Schleier ihres blauschwarzen Haars kam
ihm in den Sinn, und er merkte, wie Bonaventura an seinem Bein
vorbeistrich. »Keine Sünde«, flüsterte er dem
Kater zu. »Bestimmt ist das keine Sünde! Sie ist eine
Freundin, und ich bin einsam.« Er holte tief Luft. »Du
bist ein Trottel, Athelstan«, knurrte er. »Du bist
Priester - also was erwartest du?« Und er dachte weiter
darüber nach, während er sich ankleidete. Er hatte dem
Pater Prior gebeichtet - aber warum war er einsam? Trotz seines
Jammems wollte Athelstan von seiner Gemeinde und den Menschen,
denen er diente, geliebt werden. Es war sein
zweites Amt als Schreiber bei Sir John Cranston, dem Coroner, das
ihn bedrückte. Und warum? Geistesabwesend hob Athelstan den
Kater hoch und streichelte ihn. Mit den gewaltsamen
Todesfällen, mit dem Blut und den klaffenden Wunden konnte er
zurechtkommen. Etwas anderes ließ ihm das Blut gefrieren: die
geplanten Morde, kühl berechnet von Seelen, die gefangen waren
in der schwarzen Nacht der Todsünde. Athelstan spürte,
daß wieder ein solches Geheimnis nahte. Irgend etwas warnte
ihn, ein sechster Sinn, als warte das Böse, das auf dem
einsamen Friedhof lauerte, nur darauf, ihm entgegenzutreten. Er gab
Bonaventura einen Kuß auf den Kopf. »Ich muß die
Messe lesen.«
    Athelstan ging
zurück in die Kirche, blickte hoch und sah den ersten Schimmer
des Morgengrauens hinter den Hornscheiben der Fenster. Ihn
schauderte. Trotz der Kohlebecken war es mörderisch kalt. Er
trat an den Altar und schaute hinüber zu der Pyx mit dem
heiligen Sakrament, Christus in der Gestalt des Brotes, unter ihrem
goldenen Baldachin; eine einsame Kerze auf dem Altar war Symbol
für die Gegenwart Gottes. Hinter ihm flog krachend die
Tür auf, und Mugwort, der Glöckner, kam
hereingewatschelt, den kahlen Kopf und die zitternden roten Wangen
unter wollenen Lumpen verborgen.
    »Guten Morgen,
Pater!« brüllte er mit einer Stimme, die man vermutlich
bis an die Grenzen der Pfarrgemeinde hören konnte. Der Bruder
schloß die Augen und betete um Geduld, während Mugwort
das Glockenseil zog; es klang mehr wie eine Sturmglocke denn wie
der Ruf zum Gebet. Endlich war das Geschepper zu Ende. In einen
braunen Mantel gehüllt, schlüpfte Benedicta zur Tür
herein. Scheu lächelte sie dem Ordensbruder zu, der geduldig
wartend am Fuße der Treppe stand. Cecily, die Hure, war die
nächste. Athelstan erkannte sie an der Wolke von billigem
Parfüm, die ihr stets vorauswehte. Wieder schloß er die
Augen und betete, daß Cecily inzwischen nur noch als
Näherin für Benedicta und als
Putzfrau in der Kirche arbeiten möge. Er mußte an einen
Witz denken, den man sich in der Gemeinde erzählte: Cecily
habe öfter auf dem Friedhof geruht als der gemeindeeigene
Sarg. Pemel, die alte flämische Lady, war die nächste,
das Haar rot gefärbt, das Gesicht weiß geschminkt, eine
Frau von unbestimmbarer Herkunft und noch weniger klarer Moral.
Athelstan schwor sich im stillen, sie im Auge zu behalten. Er hatte
munkeln hören, daß Pemel die Hostie nicht
herunterschlucke, sondern sie mit nach Hause nehme und in ihren
Bienenkorb lege, damit die Bienen gesund blieben. Wenn er sie dabei
erwischte, würde er ihr die Eucharistie verweigern, und er
würde sich auch nicht mit der albernen Antwort abspeisen
lassen, daß die Waben aus ihrem Bienenkorb immer
aussähen wie eine Kirche. Endlich erschien auch Watkin, der
Mistsammler, Totengräber und Küster von St. Erconwald und
Vorsitzende des Gemeinderates. Seine stets wachsende Kinderbrut
klapperte in ihren Holzschuhen den Gang herauf; einer der Kleinen,
Crim, hatte sich wenigstens die Hände gewaschen, bevor er
neben Athelstan auftauchte, um als Meßdiener vor den Altar zu
treten. Der Bruder kam sich ein wenig lächerlich vor, zwischen
Crim mit seinem schmutzigen Gesicht auf der einen und dem Kater
Bonaventura auf der anderen Seite.
    Manyer, der Henker,
kam als letzter und warf die Kirchentür hinter sich zu.
Athelstan holte tief Luft, machte das Kreuzzeichen und
beschloß, sich auf die Messe zu konzentrieren, nicht auf das
Böse draußen auf dem Friedhof.
    *
    Sir John Cranston,
Coroner der Stadt London, stand in der Blind Basket Alley, unweit
der Poor Jewry. Der Abwasserkanal lag wie eine Scheibe aus Eis
zwischen den überhängenden Häusern. Der brave
Coroner stampfte mit

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