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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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erholen musste. Ich hatte außer der Munition ein paar Spinnerköder für Barsche besorgt, unseren Lieblingsfisch. Ich reihte eine Lüge an die nächste, und es fiel mir genauso leicht, wie es einmal mit der Wahrheit gewesen war. Auf dem Heimweg dachte ich, dass dieser Betrug folgenlos bleiben musste, weil ich mich einer Sache verschrieben hatte – einer Sache, die ich nicht mehr Rache nannte, sondern Gerechtigkeit.
    Himmelschreiende Sünden, die nach Gerechtigkeit verlangen.
    Vielleicht hatte ich das laut vor mich hin gemurmelt. Ich sah in einer Art Trance auf die Straße hinaus und stellte mir vor, wie viel ich würde üben müssen.
    Was hast du gesagt?
    Meine Mutter wirkte noch immer so schroff. Sie versuchte meinen Vater zu beschützen, was ihr eine entschlossene, autoritäre Ausstrahlung verlieh, aber dann war da auch noch das, was sie mir in Fargo beim Hamburgeressen gesagt hatte. Ich werde ihn aufhalten. Nein, wirst du nicht, dachte ich. Aber sie war hart wie Klingenstahl, als hätte sie die trüben Tage in ihrem verschlossenen Zimmer in Wirklichkeit damit verbracht, sich auszuhärten. Außerdem hatte sie in Fargo mit mir über meinen Dad geredet, über alles, was die Ärzte sagten. Wir hatten gemeinsamüber die Fakten und die offenen Fragen nachgedacht. Sie hatte mich behandelt, als sei ich viel älter, als ich eigentlich war, und auch das war seither so geblieben. Sie sah alles überdeutlich, hatte nicht mehr so viel Geduld mit mir. Sie verhätschelte mich nicht mehr. Lachte nicht mehr über Sachen, die ich witzig fand. Es war, als erwartete sie, dass ich in den vergangenen Wochen erwachsen geworden war und sie jetzt nicht mehr brauchte. Falls sie wollte, dass ich meinen eigenen Instinkten folgte, tat ich das ja auch. Aber ich brauchte sie trotzdem. Um nach Hoopdance zu kommen, hatte ich sie gebraucht. Nein, ich brauchte sie auf eine Art und Weise, die mir jetzt entglitten war. Auf jener Rückfahrt aus Hoopdance, nachdem ich das mit den himmelschreienden Sünden vor mich hin gemurmelt hatte, stellte ich ihr endlich die Frage, die mein Vater nie gestellt hätte. Es war eine kindliche Frage, aber zugleich auch eine erwachsene.
    Mom, sagte ich, warum hast du nicht gelogen? Warum hast du nicht gesagt, der Sack wäre verrutscht? Du wärst gestolpert, hättest einen Arm hochgerissen und den Boden gesehen? Warum hast du nicht gesagt, du wüsstest, wo es passiert ist? Es war ja egal, wo, solange du dich nur entschieden hättest.
    Sie schwieg so lange, dass ich dachte, sie würde überhaupt nicht mehr antworten. Es war keine Wut zu spüren, keine Verwunderung oder Scham, nur stille Konzentration.
    Ich wünschte, ich wüsste es, sagte sie schließlich, warum ich nicht gelogen habe. Letzte Woche im Krankenhaus, als ich da saß und deinen Vater angesehen habe, habe ich mir plötzlich gewünscht, ich hätte von Anfang an gelogen. Ich wünschte, ich hätte es, Joe! Aber ich wusste nicht, wo es passiert war. Und dein Vater wusste, dass ich das nicht wusste. Und du auch. Ich hatte es euch beiden gesagt. Wie hätte ich da plötzlich etwas anderes behaupten können? Und einen Meineid leisten? Außerdem wusste ich selbst ja auch, dass ich es nicht wusste. Was wäre wohl mit meinem Selbstbild passiert? Aber wenn ich gleich begriffenhätte, was alles daraus folgen würde, dass ich es nicht wusste – dass er freikommen würde, dass er so krank sein würde, hier aufzutauchen –, dann hätte ich es getan.
    Ich bin froh, dass du es getan hättest.
    Sie blickte geradeaus.
    Offensichtlich war das Gespräch damit für sie beendet. Ich sah auf die Straße hinaus, die uns entgegenkam, und dachte: Was wäre schon dabei, wenn du gelogen hättest, wenn du einfach etwas anderes behauptet hättest. Du bist meine Mom. Ich würde dich trotzdem lieben. Dad würde dich lieben. Du hast gelogen, um Mayla und ihr Baby zu beschützen. Das ist dir leichtgefallen.
    Wenn sie Linden Lark den Prozess gemacht hätten, hätte ich nicht heimlich Munition kaufen und für etwas üben müssen, was von irgendwem getan werden musste. Und zwar bald, bevor meine Mutter einen konkreten Plan ausarbeitete, um ihn aufzuhalten . Niemand anderes konnte es tun. Das begriff ich jetzt. Ich war erst dreizehn, und wenn ich erwischt wurde, würde man mich nach dem Jugendstrafrecht verurteilen, ganz abgesehen davon, dass es mildernde Umstände gab. Mein Anwalt würde auf meine Schulnoten verweisen und auf meinen Ruf als guter Junge setzen, den ich mir offenbar irgendwie

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