Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
Vom Netzwerk:
Die Bäume an der Grundstücksgrenze schwankten, und die Blätter zeigten ihre matte, silbrige Unterseite. Ichließ mir ein Glas Leitungswasser einlaufen und stellte mich ans Fenster. Meine Mutter war draußen. Sie kniete mit einem Nudelsieb in der Hand am Boden und erntete die Buschbohnen, die mein Vater und ich so spät noch gepflanzt hatten. Manchmal ließ sie sich auf alle viere fallen und krabbelte an der Reihe entlang. Kam wieder hoch. Versetzte dem Sieb einen Ruck, um die Bohnen zurechtzurütteln. Dafür habe ich es getan, dachte ich. Und in dem Moment war ich zufrieden. Damit sie ihrem Sieb einen Ruck geben konnte. Sie musste sich nicht umblicken oder fürchten, dass er ihr auflauern könnte. Sie konnte den ganzen Tag Buschbohnen ernten, und niemand würde sie dabei stören.
    Ich kippte Cornflakes in eine Schüssel und goss Milch darüber. Ich aß bedächtig. Es tat gut zu essen. Ich spülte die Schüssel aus und ging in den Garten.
    Meine Mutter stand auf und kam auf mich zu. Sie legte mir ihre schmutzige Handfläche auf die Stirn.
    Du hast kein Fieber mehr.
    Ich bin gesund!
    Du solltest es langsam angehen lassen, vielleicht ein bisschen lesen oder …
    Ich hab nicht viel vor, sagte ich. Aber in zwei Wochen ist wieder Schule. Ich will keinen Tag vergeuden.
    Und es wäre natürlich Vergeudung, den Tag hier mit mir zu verbringen. Sie war nicht sauer, aber sie lächelte auch nicht.
    So hab ich’s nicht gemeint, sagte ich. Ich komme früh nach Hause.
    Ihre Augen, das eine mit dem halben Blinzeln trauriger als das andere, tasteten sanft über mein Gesicht. Sie schob mir das Haar aus der Stirn. Ich sah über ihre Schulter hinweg und entdeckte ein leeres Gurkenglas auf der Hintertreppe. Ich erstarrte. Das Glas. Ich hatte das Glas auf dem Ausguck stehen lassen.
    Was ist das da?
    Sie drehte sich um. Vince Madwesin war hier. Er hat mir dieses Glas gegeben und gesagt, ich könnte es ja ausspülen. Er sagte,er fände meine selbsteingelegten Gurken so gut. War wohl ein Wink. Sie sah mich wieder forschend an, aber ich blieb unbewegt.
    Ich mache mir Sorgen um dich, Joe.
    Es war ein Augenblick, an den ich bis heute zurückdenke. Wie sie mir gegenüberstand im Tumult der Pubertät. Der warme, erdige Geruch ihrer Hände, ein Hauch von Schweiß auf ihrem Hals, ihr forschender Blick.
    Whitey hat gesagt, ihr Jungs hättet euch betrunken.
    Es war ein Experiment, sagte ich, und das Ergebnis war negativ. Ich habe eine Menge Ferienzeit krank im Bett verbracht, Mom. Ich glaube, vom Trinken bin ich geheilt.
    Sie lachte erleichtert, und das Lachen blieb ihr im Hals stecken. Sie sagte, dass sie mich liebte, und ich murmelte eine Antwort. Ich blickte auf meine Füße.
    Geht es dir jetzt besser?, fragte ich leise.
    Oh, sicher, meine Junge. Mir geht es prima; ich bin wieder ich selbst. Es ist alles bestens. Bestens. Sie versuchte mich zu überzeugen.
    Zumindest ist er tot, Mom. Zumindest hat er dafür bezahlt.
    Ich wollte noch sagen, dass er keinen leichten Tod gehabt hatte, dass er gewusst hatte, wofür er getötet wurde, und gesehen hatte, wer es tat. Aber dann hätte ich sagen müssen, dass ich es war.
    Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen und stieg auf mein Rad. Im Wegfahren spürte ich das Gewicht ihres Blicks schwer auf meinem Rücken lasten.
    Zuerst fuhr ich zur Post. Mittags würde ich dort vielleicht meinem Dad über den Weg laufen, also wollte ich vorher hin und nachsehen, ob Linda bei der Arbeit war. War sie nicht. Margaret Nanapush, die Großmutter der Margaret in meinem Jahrgang in der Schule, dem Mädchen von dem Powwow, das ich später heiraten sollte, erzählte, dass Linda ein paar ungenutzteTage Krankheitsurlaub aufbrauchte. Soweit Mrs. Nanapush es wusste, war sie zu Hause. Also fuhr ich zu ihr.
    Ich war so schwach, dass die Fahrt mir endlos lang vorkam. Draußen am Rand des Reservats, wo sie wohnte, wehte ein schneidender Wind. Ich radelte eine Stunde lang gegen ihn an, bis ich an den Abzweig zu Lindas Haus kam und schließlich in ihre Zufahrt einbog. Lindas Auto stand in einem hölzernen Carport. Sie fuhr, was ich ziemlich überraschend fand, einen schnuckeligen blauen Mustang. Mir fiel ein, dass sie erzählt hatte, wie gern sie damit unterwegs war. Ich lehnte mein Fahrrad gegen die Veranda. Ich bin total durch den Wind, sagte ich laut und wünschte, Cappy wäre dabei gewesen, um über meinen schlechten Witz zu lachen. Ich schleppte mich zur Tür und klopfte. Die lose Fliegengittertür schepperte in ihrem

Weitere Kostenlose Bücher