Farben der Liebe
Von der Stange
Violett
von Ashan Delon
„Das macht fünfundsiebzig sechzig.“
Ein Satz, der so oder mit anderen Zahlen hundert Mal am Tag über meine Lippen sprudelte. Sachlich, ohne Emotionen, gerade mal mit einem freundlichen Verkäuferlächeln. Ein Lächeln, das mir gerade bei dem letzten Kleidungsstück, das ich in die Kasse eingescannt, zusammengelegt und in die Plastiktüte geschoben habe, mehr als sonst erzwungen vorkam. Dieses violette Hemd – ich kannte es sehr gut. Ich hatte selbst so eines.
Als Verkäufer in einem exklusiven Modeladen in der Fußgängerzone musste ich im Dienst die Sachen tragen, die ich auch verkaufte. Ich bekam daher Prozente und nutzte dies als Shopping-Junkie auch schamlos aus. Mein Kleiderschrank quoll über mit den schönsten, modernsten, freakigsten Sachen, die der Laden zu bieten hatte, bei dem ich nun schon fast zwei Jahre angestellt war. Die Chefin war mit mir zufrieden. Mein Charme und meine freundliche, saloppe, persönliche Überredungskunst hatten ihr schon so manche Einnahme gesichert.
Ich musste mich förmlich zwingen, meine Finger von dem seidenweichen violetten Stoff zu nehmen. Ich liebte dieses Stück, das vor gut zwei Monaten frisch reingekommen war und fast genauso lang auch schon in meinem Schrank hing. Ich liebte es, dennoch konnte ich es nicht tragen.
Nicht, weil ich in diesem geilen, sexy, förmlich auf die Haut geschneiderten Teil etwa scheiße aussah, oder weil es wie alles hier in der Boutique von der Stange und irgendwo in Übersee produziert worden war, sondern weil es eine Farbe hatte, von der mein Bruder behauptete, es würde meiner Neigung zum männlichen Geschlecht die Krone der Schöpfung aufsetzen und dass man mir damit hundert Meilen gegen den Wind den Homo ansehen könnte. Es war natürlich nur ein weiterer blöder Spruch meines jüngeren Bruders, der meine Homosexualität gern zum Anlass nahm, sich darüber lustig zu machen. Dabei meinte er es keineswegs böswillig, hasserfüllt oder fanatisch. Dennoch waren seine Sprüche mit ausreichend Sarkasmus gespickt, sodass er mich so manches Mal zur Weißglut trieb. Er ließ mir aber mein Sexleben und meine Neigung, so wie ich nichts unternehmen würde, seine Exzesse durch die Betten der Frauen zu beenden. Er war ein Gigolo, der reihenweise Frauen vernaschte und ihre Herzen brach. Ich tat fast dasselbe mit den enttäuschten Ehemännern und einsamen Männerherzen – fast.
Ich war zwar der Überzeugung, dass ich mit diesem leuchtend violetten Hemd noch mehr Kerle um den Finger wickeln konnte, dennoch hatte mir der Kommentar meines Bruders so zu denken gegeben, dass es nun seit zwei Monaten ungetragen in meinem Schrank hing.
Im Laden hatte ich seither einen Bogen um die violetten Hemden gemacht und überließ das Auffüllen und Dekorieren meinen Kolleginnen. Ich hatte sogar vermieden, es überhaupt anzufassen. Doch nun ging es nicht anders. Ich konnte nicht einfach meine Kollegin Jasmin bitten, den Kunden abzukassieren oder ihn an die andere Kasse zu schicken.
Es war wirklich schwer, den Stoff freizugeben und im Inneren einer unscheinbaren weißen Plastiktüte in die Welt hinausziehen zu lassen.
Wieso weinte ich diesem Teil eigentlich eine Träne hinterher? Ich hatte doch selbst so eines zu Hause. Ich konnte, wenn ich wollte, die ganze Nacht in dieses Ding reinheulen und damit den feinen Stoff ruinieren.
Selten bekam ich so einen engen Bezug zu einem einfachen Kleidungsstück wie zu diesem. Ich liebte violett und alle nahe damit verwandten Farbtöne, außer pink und rosa.
Violett war das neue Rot, Blau, Schwarz oder Grün. In diesem Winter gab es viele violettfarbenen Kollektionen. Ganz entzückt hatte ich in die Hände geklatscht, als ich vor zwei Monaten die Kartons geöffnet hatte, die randvoll mit Kleidung meiner Lieblingsfarbe waren.
Ich hasste alle Kunden, die im Laufe der nächsten Tage und Wochen eines nach dem anderen davontrugen. Ich hätte sie am liebsten dran gehindert. Es war meine Farbe. Sie gehörte mir allein.
Dass ich das natürlich nicht durchziehen konnte, war mir klar. Ich musste sie alle ziehen lassen, bis auf das hier. Das letzte seiner Art. Das Letzte aus der wunderschönen Violett-Lieferung. Ich wusste auch nicht wieso. Vielleicht war das wie ein Abschied von dieser Farbe. Die Sommerkollektion war bereits für die nächsten Wochen angekündigt. Was ich da gesehen hatte, traf nicht im Mindesten meinen Modegeschmack – kein violett dabei.
Umso schwerer fiel
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