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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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zu. Joe, das musst du mir versprechen. Du sollst nicht nach ihm suchen. Du sollst überhaupt nichts tun.
    Doch, das werde ich, Mom.
    Ihre plötzliche heftige Reaktion löste irgendetwas in mir aus. Ich bohrte weiter.
    Das werde ich. Niemand wird mich aufhalten. Ich weiß, wer es ist, und ich kriege ihn. Du kannst nichts dagegen tun, weil du hier im Bett rumliegst. Weil du hier nicht wegkannst. Weil du hier gefangen bist. Und es stinkt hier. Weißt du überhaupt, dass es in diesem Zimmer stinkt?
    Ich ging zum Fenster und wollte gerade das Rollo hochziehen, als meine Mutter mich ansprach. Ich meine, meine Davor-Mutter, die Mutter, die mir noch etwas zu sagen hatte, die sprach mich an.
    Hör auf damit, Joe.
    Ich drehte mich nach ihr um. Sie saß aufrecht im Bett. Ihr Gesicht war ganz und gar blutleer. Ihre Haut wirkte teigig, sonnenlos. Aber sie sah mich fest an und sprach ruhig und bestimmt.
    Hör mir jetzt gut zu, Joe. Du wirst mich nicht quälen und belästigen. Du wirst mich in Ruhe so viel nachdenken lassen, wie ich will, und zwar hier. Ich muss gesund werden, so gut icheben kann. Du wirst mir keine Fragen stellen und mir keine Sorgen bereiten. Du wirst nicht nach ihm suchen. Du wirst mir keine Angst einjagen, Joe. Ich habe für den Rest meines Lebens genug Angst gehabt. Du wirst meine Angst nicht noch größer machen. Du wirst meine Trauer nicht noch größer machen. Ich will nicht, dass du Teil davon bist.
    Ich stand da und war wieder klein. Teil wovon?
    Von allem. Sie holte mit dem Arm in Richtung Tür aus. Das ist alles ein einziger Gewaltakt. Ihn kriegen, ihn nicht kriegen. Wer ist er überhaupt? Du hast doch keine Ahnung. Gar keine. Du weißt es nicht, und das wirst du auch nie. Lass mich einfach nur schlafen.
    Ist gut, sagte ich und ging. Auf dem Weg die Treppe runter wurde mein Herz ganz kalt. Ich hatte das Gefühl, dass sie wusste, wer es getan hatte. Ganz bestimmt verschwieg sie mir etwas. Dass sie es wusste, war wie ein Tritt in die Magengrube. Meine Rippen schmerzten. Ich rang nach Luft. Ich ging weiter geradeaus, durch die Küche und durch die Hintertür, raus in die Sonne. Ich trank das Sonnenlicht in tiefen Zügen. Es war, als wäre ich mit einer rasenden Leiche eingesperrt gewesen. Am liebsten hätte ich jede einzelne Blume ausgerissen, die ich eingepflanzt hatte, und die Blüten in den Boden getrampelt. Aber dann kam Pearl auf mich zu. Ich fühlte, wie meine Wut verrauchte.
    Ich bringe dir jetzt Apportieren bei, sagte ich.
    Ich ging zur Grundstücksgrenze, um einen Stock zu holen. Pearl trottete neben mir her. Ich bückte mich, nahm einen Stock und richtete mich auf, um ihn zu werfen, aber ein verschwommenes Etwas fegte an mir vorbei, und der Stock wurde mir gewaltsam aus der Hand gerissen. Ich wirbelte herum. Ein paar Schritte vor mir stand Pearl mit dem Stock im Maul.
    Leg’s hin, sagte ich. Sie legte ihre wölfischen Ohren zurück. Ich war sauer. Ich marschierte auf sie zu und packte den Stock, um ihn ihr wegzunehmen, aber sie knurrte vielsagend, und ich ließ los.
    Okay, sagte ich. So willst du es also.
    Ich ging ein Stück weiter und suchte mir ein neues Stöckchen. Holte zum Wurf aus. Pearl ließ ihren Stock fallen und schnürte auf mich zu, mit der klaren Absicht, mir den Arm abzureißen. Ich ließ den Stock fallen. Sobald er am Boden lag, schnüffelte sie daran und schien zufrieden. Ich versuchte es noch einmal. Beugte mich noch einmal runter, um den Stock aufzuheben, und als ich gerade die Hand darum geschlossen hatte, kam Pearl und schloss ihre Zähne um mein Handgelenk. Ich ließ ganz langsam los. Ihre Kiefer waren so kräftig, dass sie meine Knochen hätten brechen können. Ich richtete mich behutsam mit leeren Händen auf, und sie ließ los. Da waren Druckstellen auf meinem Arm, aber kein Zahn hatte die Haut verletzt.
    Okay, du willst also nicht apportieren, verstehe, sagte ich.
    In dem Moment kam mein Vater mit dem Auto zurück und holte noch einen Karton voller teurer Gewächshauspflanzen aus dem Kofferraum. Wir nahmen sie mit nach hinten und stellten sie neben das Gemüsebeet. Den Rest des Nachmittags über nahmen wir das alte Stroh runter, gruben die schwarze Erde um und harkten sie. Wir siebten alte Wurzeln und tote Triebe heraus und brachen Klumpen auf, bis die Erde locker und fein war. Tief unter der Oberfläche war der Boden feucht. Reich. Ich begann zu mögen, was ich tat. Der Erdboden ließ meine Wut abfließen. Wir hoben die Pflanzen aus den Töpfen und lockerten behutsam

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