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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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wissen.
    Wird sie daran sterben?
    Nein, sagte Clemence schnell. Sie wird nicht sterben. Aber manchmal …
    Sie biss sich von innen auf die Lippen, dass die Mundwinkel runterhingen, und sah mit zusammengekniffenen Augen die Siedlerin an.
    … ist es komplizierter, sagte sie schließlich. Du hast doch gesehen, dass jemand ihr sehr, sehr wehgetan hat? Clemence berührte ihre eigene, für den Kirchgang zart gepuderte Wange.
    Ja, habe ich.
    Uns traten Tränen in die Augen, und wir sahen beide weg,auf Clemences Handtasche, in der sie nach Kleenex wühlte. Wir weinten ein bisschen. Es war eine Erleichterung. Dann trockneten wir unsere Gesichter, und Clemence sprach weiter.
    Manchmal kann es besonders brutal sein.
    Brutal vergewaltigt, dachte ich.
    Ich wusste schon, dass diese Wörter zusammengehörten. Vielleicht hatte ich sie aus einer der Fallbeschreibungen in den Büchern meines Vaters oder aus der Zeitung oder einem der tollen Taschenbuch-Thriller, die mein Onkel Whitey in einem selbstgezimmerten Regal hortete.
    Da war Benzin, sagte ich. Warum hat sie nach Benzin gerochen? War sie in Whiteys Tanke?
    Clemence starrte mich an. Ihre Hand mit dem Kleenex verharrte neben ihrer Nase, und ihre Haut wurde fahl wie angetauter Schnee. Plötzlich klappte sie vornüber und legte den Kopf auf die Knie.
    Alles okay, sagte sie durch das Kleenex. Ihre Stimme klang normal, fast gleichgültig sogar. Keine Sorge, Joe. Ich dachte, ich falle in Ohnmacht, aber es geht schon wieder.
    Sie nahm sich zusammen und kam wieder hoch. Tätschelte mir die Hand. Ich fragte sie nie wieder nach dem Benzin.
    Irgendwann schlief ich auf einer Plastikbank ein, und irgendjemand deckte mich mit einer Krankenhausdecke zu. Ich schwitzte im Schlaf, und beim Aufwachen klebten meine Backe und mein Arm an der Sitzbank. Ich schälte mich mühsam ab und stützte mich auf den Ellbogen.
    Gegenüber stand Dr. Egge und redete mit Clemence. Ich erkannte gleich, dass jetzt alles besser aussah, dass es meiner Mutter besser ging, dass mit der Operation irgendetwas besser geworden war. So schlimm alles auch sein mochte, es wurde zumindest im Augenblick nicht mehr schlimmer. Also legte ich den Kopf auf die klebrige Plastikbank, die sich jetzt gut anfühlte, und schlief wieder ein.

KAPITEL ZWEI
DIE GEHEIMNISVOLLE KRAFT
    Ich hatte drei Freunde. Mit zweien halte ich bis heute Kontakt. Der andere ist ein weißes Kreuz an der Montana Hi-Line. Das markiert jedenfalls den Ort seines körperlichen Todes. Was seine Seele angeht – die habe ich in Form eines runden schwarzen Steins immer bei mir. Er hat ihn mir gegeben, als er hörte, was mit meiner Mutter passiert war. Virgil Lafournais hieß er, oder Cappy. Er sagte, der Stein sei heilig, er sei unter einem Baum gefunden worden, den der Blitz getroffen hatte. Ein Donnervogel-Ei, sagte Cappy. Er schenkte es mir, als ich wieder in die Schule kam. Immer wenn mich die anderen Kinder oder die Lehrer neugierig oder mitleidig anstarrten, berührte ich Cappys Stein.
    Seit wir meine Mutter in der Auffahrt gefunden hatten, waren fünf Tage vergangen. Ich hatte mich geweigert, in die Schule zu gehen, bevor sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Sie konnte es selbst kaum erwarten und war erleichtert, als sie wieder zu Hause war. Am nächsten Morgen schickte sie mich vom Elternschlafzimmer aus los.
    Cappy und die anderen vermissen dich bestimmt, sagte sie.
    Sie bestand darauf, dass ich wieder hinging, obwohl es nur noch zwei Wochen bis zu den Sommerferien waren. Wenn es ihr besserging, wollte sie uns einen Kuchen machen, sagte sie, und Sloppy Joes. Es hatte ihr schon immer Spaß gemacht, uns zu bekochen.
    Meine anderen beiden Freunde waren Zack Peace und Angus Kashpaw. Wir vier waren damals so oft zusammen, wie es nurging, und trotzdem war klar, dass Cappy und ich am besten befreundet waren. Seine Mutter war gestorben, als Cappy noch klein war, und seitdem lebten er, sein großer Bruder Randall und sein Vater, Doe Lafournais, ein Junggesellenleben in einem chaotischen Männerhaushalt. Doe ließ sich zwar hin und wieder mit Frauen ein, heiratete aber nicht. Er war der Hausmeister des Stammesbüros und gleichzeitig immer mal wieder der Stammesvorsitzende. In seiner ersten Amtszeit, in den sechziger Jahren, hatte er gerade genug Geld bekommen, dass er als Hausmeister nur noch halbtags arbeiten musste. Wenn er dann zu erschöpft war, um wieder anzutreten, verdiente er sich mit Nachtschichten als Wachmann etwas hinzu. Erst in den Siebzigern

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