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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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zurückgelassen. Ein Zettel an der Jacke des Kindes hatte die Finder darüber informiert, dass seine Eltern tot waren.
    Ist das Maylas Baby?
    Mein Vater nickte.
    Sie haben deiner Mutter ein Foto gezeigt, und sie hat das Mädchen identifiziert.
    Wo ist Mom jetzt?
    Mein Vater hob, noch immer überrascht, die Augenbrauen.
    Ich habe sie gerade im Büro abgesetzt.
    Ein paar Tage nachdem meine Mutter das Kind identifiziert hatte, begann sie wieder regelmäßig ins Büro zu fahren. Viel Arbeit hatte sich angestaut, Blutanteile, die bestimmt werden wollten, Genealogiebegeisterte, die auf die Entdeckung einer romantischen Indianerprinzessin in ihrer Verwandtschaft hofften. Kinder, die als Erwachsene zurückgekehrt waren – Adoptierte, aus dem Stamm Herausgerissene, die von der Fürsorge praktisch entführt worden waren, und dann gab es noch die, die ihr Indianerdasein aufgegeben hatten und deren Kinder sich danach zurücksehnten und einen Familienausflug ins Reservat machten, um ihre Herkunft zu erkunden. Sie hatte eine Menge zu tun, und das selbst bevor das Casinogeld ganze Scharen von Möchtegernindianern anzog. Solange Lark in Untersuchungshaft war, konnte sie offenbar arbeiten. Solange das Baby in Sicherheit war. Ein paar Tage lang war alles normal – aber mit angehaltenem Atem normal. Wir erfuhren, dass das Baby bei seinen Großeltern George und Aurora Wolfskin war. Dort sollte es dauerhaft bleiben, zumindest, bis Mayla wiederkam. Falls sie je wiederkommen sollte. Dann, ungefähr am vierten Tag, sagte meine Mutter zu meinem Vater, sie müsse noch einmal mit Gabir Olson und Special Agent Bjerke reden. Jetzt, wo das Kind in Sicherheit war, sei ihr nämlich plötzlich wieder eingefallen, wo sich die fehlende Akte befand.
    Schön, sagte meine Vater. Und wo?
    Wo ich sie liegen gelassen habe, im Auto, unter dem Vordersitz.
    Mein Vater ging raus und kam mit der Akte in der Hand wieder zurück.
    Sie fuhren nach Bismarck, und ich kam wieder bei Clemence und Edward unter. Die Geburtstagsgirlanden waren alle abgehängt. Die Bierdosen zerdrückt. Die Blätter auf der Laube waren vertrocknet. Es war wieder still in Clemences und Edwards Haus, aber es war eine heitere Stille, denn es kamen immer wieder Besucher. Nicht nur Freunde und Verwandte, sondern auch Leute, die nur Mooshum sehen wollten, Studenten und Hochschullehrer. Sie bauten ihre Diktiergeräte auf und schnitten mit, wie er über die alten Zeiten redete oder wie er Michif sprach, Ojibwe oder Cree oder alle drei Sprachen durcheinander. Aber eigentlich erzählte er ihnen nicht viel. Seine wahren Geschichten kamen alle nachts. Ich schlief mit ihm in Eveys Zimmer. Ein oder zwei Stunden nach Beginn der Nacht wachte ich davon auf, dass ich ihn sprechen hörte.

    Das Rundhaus
    Als man ihm befahl, seine Mutter zu töten, sagte Nanapush, sei in seinem Herzen ein großer Graben aufgerissen. Ein so tiefer Bruch, dass er unendlich weit hinabreichte. Auf der Davor-Seite blieben die Liebe zu seinem Vater und der Glaube an alles, was sein Vater tat, als leere, abgestreifte Hülle zurück. Und nicht nur dieser Glaube, sondern auch manch anderes. Wiindigoo gab es wirklich – Menschen, die in hungrigen Zeiten jede menschliche Zurückhaltung verloren und das Fleisch der anderen begehrten. Aber es gab auch falsche Anklagen. Oft war das Heilmittel für einen Wiindigoo ganz einfach: eine große Portion warme Suppe. An Akii hatte das niemand ausprobiert. Niemand hatte die Alten und Weisen um Rat gebeten. Die Menschen, die Nanapush geliebt hatte, auch seine Onkel, hatten sich einfachgegen seine Mutter gestellt, und seitdem konnte er nicht mehr an sie oder an ihre Worte und Taten glauben. Auf der Seite des Grabens, wo sich Nanapush befand, gab es aber immer noch seine jüngeren Geschwister, die um ihre Mutter geweint hatten. Und seine Mutter selbst. Und dazu den Geist der Büffelkuh, die seine Zuflucht gewesen war.
    Diese alte Büffelfrau erklärte Nanapush ihre Sicht auf die Welt. Sie sagte, er habe überlebt, weil er immer das Gegenteil von dem tat, was die anderen taten. Wo sie im Stich ließen, rettete er. Wo sie grausam waren, war er gütig. Wo sie Verrat begingen, blieb er treu. Da beschloss Nanapush, künftig in allem, was er tat, unberechenbar zu sein. Da er jedes Vertrauen in die Autoritäten verloren hatte, beschloss er, sich von den anderen fernzuhalten und sich seine eigenen Gedanken zu machen, ja sogar die abwegigsten Dinge zu tun, die ihm nur einfielen.
    Das kannst du tun,

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