Das Haus des Windes
mehr, versprochen.
Sie setzte sich und sah mir beim Essen zu.
Ich wollte dir heute Morgen etwas sagen, Joe. Du hast letzte Nacht im Schlaf geredet. Du hast geschrien.
Ja?
Ich bin aufgestanden und zu deiner Tür rübergegangen. Du hast mit Cappy geredet.
Was hab ich gesagt?
Ich konnte es nicht verstehen. Aber du hast zweimal nach Cappy geschrien.
Ich aß weiter. Cappy ist mein bester Freund, Mom. Er ist wie ein Bruder für mich.
Ich musste daran denken, wie er draußen auf der Baustelle im Schlaf geweint hatte, und legte die Gabel weg. Ich wollte sofort los und nach ihm sehen. Ich hatte das Gefühl, ich hätte ihn nicht dort zurücklassen dürfen. Unter der Arbeitszimmertür verbreiterte sich der Lichtstreif, und mein Vater kam raus und setzte sich zu uns an den Tisch. Er hatte sich abgewöhnt, von morgens bis abends und bis in die Nacht hinein Kaffee zu trinken. Meine Mutter gab ihm ein Glas Wasser. Er war frisch rasiert und trug nie mehr seinen Hausmantel. Im Gericht arbeitete er noch immer in Teilzeit.
Heute habe ich angefangen, sagte er.
Was angefangen? Ich war in Gedanken noch bei Cappy. Wenn ich bei bei ihm zu Hause anrief, vielleicht konnte er sich dann herfahren lassen und bei mir übernachten. Dann wären wir in der Dunkelheit nicht allein. Mein Vater sprach weiter.
Mein Walking-Programm. Ich laufe auf den Wegen bei der Highschool. Eine halbe Meile habe ich schon geschafft. Ich mache das jetzt jeden Tag. Und du kannst dort laufen. Du wirst mich wohl ein paarmal überrunden.
Meine Mutter beugte sich vor und nahm seine Hand. Er legte seine andere Hand auf ihre und strich über ihren Ehering.
Sie will mich nicht allein gehen lassen, sagte er und sah sie an. Oh, Geraldine.
Sie waren beide dünner geworden, und die Falten um Mund und Nase waren tiefer. Aber die messerscharfe Linie zwischen den Augenbrauen meiner Mutter war verschwunden. Ich hatte sie aus ihrer Wolke der Angst befreit. Ich hätte bei dem Anblick der beiden am Küchentisch glücklich sein sollen, aber stattdessen ärgerte mich ihre Unwissenheit. Als wäre ich der Erwachsene und die zwei, wie sie da Händchen hielten, die ahnungslosen Kinder. Sie konnten sich gar nicht vorstellen, was ich für sie durchgemacht hatte. Und Cappy. Cappy und ich. Ich wummerte schlecht gelaunt mit dem Fuß gegen das Tischbein.
In mir tobt ein Konflikt, Joe, sagte mein Vater.
Ich hielt meinen Fuß still.
Vielleicht kannst du was dazu sagen, wenn ich es dir erzähle?
Okay, sagte ich, obwohl ich vor Schreck fast vom Stuhl gefallen wäre. Ich wollte es nicht hören.
Ich bin erleichtert, dass Lark tot ist, sagte mein Vater. So wie du es gesagt hast, als du davon erfahren hast, so fühle ich mich auch. Deine Mutter ist jetzt vor ihm sicher; er wird nicht im Supermarkt auftauchen und nicht an der Tankstelle. Unser Leben kann weitergehen, oder?
Yeah, sagte ich. Ich machte einen Versuch aufzustehen, aber er sprach weiter.
Trotzdem muss die Frage gestellt werden, wer ihn getötet hat. Für deine Mutter, sein Opfer, und für Mayla hat es keine Gerechtigkeit gegeben, und trotzdem gibt es das Recht.
Ein ungleich verteiltes Recht, Dad. Aber er hat gekriegt, was er verdient hat. Meine Stimme klang neutral. Mein Herz hämmerte wie wild.
Meine Mutter hatte seine Hand losgelassen. Sie wollte nicht zuhören, wie wir uns stritten.
Das finde ich auch, sagte mein Vater. Bjerke wird uns morgen befragen – reine Routine. Aber was heißt da schon Routine. Er wird jeden von uns fragen, wo wir waren, als Lark getötet wurde. Und jetzt zu meinem Konflikt. Ich frage mich, was ich als jemand, der geschworen hat, dem Gesetz zur Geltung zu verhelfen, in so einer Situation tun sollte, wenn ich irgendwelche Hinweise hätte, die zum Täter führen könnten. Als ich zuletzt mit deiner Mutter darüber gesprochen habe, war ich mir nicht sicher.
Ich sah zu meiner Mutter hinüber, die ihre Lippen zu einem geraden dunklen Strich zusammenpresste.
Aber jetzt habe ich beschlossen, dass ich nichts tun würde. Ich würde keine Hinweise weitergeben. Jeder Richter weiß, dass es verschiedene Formen von Gerechtigkeit gibt – die ideale Gerechtigkeit zum Beispiel im Unterschied zu der So-gut-es-geht-Gerechtigkeit, die bei so vielen unserer Urteile am Ende herauskommt. Es war kein Lynchmord. Seine Schuld stand außer Frage. Vielleicht wollte er sogar erwischt und bestraft werden. Das können wir nicht wissen. Lark zu töten war falsch, aber es dient der idealen Gerechtigkeit. Es löst ein
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