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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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über den See paddeln, und hör nicht auf, bis du am anderen Ufer auf Grund gestoßen bist.
    Also behielt ich meine Frau und respektierte von da an den alten Mann. Er benahm sich wie ein Verrückter, um seine Freunde von den Feinden zu trennen, aber er sagte die Wahrheit.
    Was war mit seiner Mutter?, fragte ich. Was war mit der Frau, die kein Mann töten konnte? Als sie ihn zu dem Büffel geschickt hat, was ist da passiert?
    Was redest du für einen Müll, Kleiner?
    Deine Geschichte.
    Welche Geschichte?
    Die du mir letzte Nacht erzählt hast.
    Letzte Nacht? Da hab ich nichts erzählt. Ich habe die ganze Nacht durchgeschlafen. Tief und fest.
    Na gut, dachte ich. Dann muss ich wohl warten, bis er wieder tief und fest schläft. Vielleicht kriege ich dann das Ende zu hören.
    Also wartete ich am nächsten Abend und versuchte mich wach zu halten. Aber ich war müde und nickte immer wieder ein. Ich schlief eine ganze Weile. Dann hörte ich im Traum so etwas wie das Knirschen morscher Zweige, wachte auf und sah Mooshum aufrecht im Bett sitzen. Er hatte vergessen, sein Gebiss rauszunehmen, und es hatte sich gelockert. Er klapperte mit den Zähnen, ohne ein Wort zu sagen, wie er es manchmal tat, wenn er sehr wütend war. Aber irgendwann fielen die Zähne aus seinem Mund, und er fand seine Sprache wieder.
    * * *
    Ah, diese ersten Jahre des Reservats, als sie uns einzwängten. Auf wenige Quadratmeilen nur. Wir hungerten, während die Kühe der Siedler sich von dem abgezäunten Gras unserer alten Jagdgründe dick und rund fraßen. In diesen ersten Jahren aß unser weißer Vater mit dem fetten Bauch zehn Enten zum Abendbrot und gab uns nicht einmal die Füße. Das waren schlimme Jahre. Nanapush sah seine Leute verhungern und aussterben, und dann wurde seine Mutter als Wiindigoo angegriffen, aber die Männer konnten sie nicht töten. Sie waren mitten im Nirgendwo und fast verhungert. Aber jetzt hatte ihm das Kaninchen ein wenig Kraft verliehen, also beschloss er, nach dem Büffel zu suchen. Er nahm das Beil seiner Mutter und das Gewehr seines Vaters und ging.
    Während er sich Meile um Meile weiterschleppte, sang Nanapush das Büffellied, obwohl ihm dabei die Tränen kamen. Es brach ihm das Herz. Er wusste noch, wie die Büffel die ganze Welt erfüllt hatten, als er ein kleiner Junge war. Einmal waren die Jäger, als er klein war, an einen Fluss gekommen. Nanapushwar auf einen Baum geklettert, um zu sehen, wo die Büffel herkamen. Sie hatten den ganzen Erdboden bedeckt. Es waren endlos viele. Er hatte diese Pracht noch erlebt. Wo waren sie hin?
    Manche alte Männer sagten, die Büffel seien in einem Loch in der Erde verschwunden. Andere hatten gesehen, wie weiße Männer Tausende Büffel von einem Eisenbahnwagen aus erschossen und dem Verfall überließen. So oder so gab es sie nicht mehr. Trotzdem sang Nanapush, während er Meile um Meile weiterstolperte, das Büffellied. Es musste einen Grund geben, dachte er. Und schließlich sah er zu Boden. Er sah Büffelspuren! Nanapush konnte es kaum glauben. Hunger kann einem alles Mögliche vorgaukeln. Aber nachdem er den Spuren eine Weile gefolgt war, sah er, dass sie tatsächlich von einem Büffel waren. Einer alten Kuh, so verrückt und altersschwach, wie Nanapush es selbst einmal werden sollte, und ich auch, und überhaupt alle Überlebenden dieser Jahre, die Letzten von so vielen.
    Die Kälte wurde stetig schlimmer. Nanapush stapfte weiter, immer den Spuren der Büffelkuh folgend, die fortwährend am Rand eines bewaldeten Gebiets mit dichtem Unterholz entlangtaumelte, in dem sie, dachte Nanapush, sicher bald Deckung suchen würde. Aber das tat sie nicht. Sie wanderte in eine gnadenlos offene Ebene hinaus, wo der Wind den beiden mit tödlicher Wucht entgegenpeitschte. Nanapush begriff, dass er die Kuh sofort erschießen musste. Er nahm jedes bisschen Willenskraft in seinem abgemagerten Körper zusammen und marschierte weiter, aber die Büffelkuh, der es leichter fiel als ihm, gegen den Wind zu laufen, blieb außer Reichweite.
    Nanapush gab nicht auf und sang das Büffellied, so laut er konnte. Und schließlich hörte die Büffelkuh inmitten dieser weißen Bitternis seinen Gesang. Sie hielt und lauschte. Wandte sich ihm zu. Die beiden waren jetzt vielleicht zehn Schritt voneinander entfernt. Nanapush sah, dass das Tier kaum mehr als ein Fellsack war, der locker über seinen morschen Knochen hing.Doch früher musste sie riesig gewesen sein, und in ihren braunen Augen lag so tiefer

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