Das Haus in den Wolken
half ihr den Rest ihrer Sachen einsammeln. Das Brot lag im Matsch, und ihre Zeitung war durchweicht.
»Dann erlauben Sie mir wenigstens, die beschädigten Einkäufe zu ersetzen«, sagte er.
»Nein, danke.« Sie war sehr blass. »Aber wenn Sie so freundlich wären, mich noch ein Stück zu begleiten â nur zur Sicherheitâ¦Â«
Er nahm ihr den Korb ab, und sie gingen zusammen die StraÃe hinauf. Kurz vor der Ecke rief einer der Betrunkenen ihnen nach: »Für reiche Kerle hast du was übrig, stimmtâs, Liebchen? Und reiche alte Kerle sind dir die liebsten.« Die anderen Männer lachten. Richard sah, wie Isabel Zeale die Lippen zusammenpresste.
Er lieà ihr einige Minuten Zeit, ihre Fassung wiederzugewinnen, dann fragte er, während sie aufwärtsstiegen: »Was waren das für Männer?«
»Die Salters? Das sind Fischer â Brüder â, sie wohnen in Lynmouth.«
»Sind sie Bekannte von Ihnen?«
»Anfangs â« Sie brach ab. Dann sagte sie leise: »Als ich hierherkam, war ich sehr einsam. Ich habe vielleicht ein-, zweimal mit Mark Salter ein paar Worte gewechselt. Es war dumm von mir, er hat es völlig falsch ausgelegt.«
»Werden Sie häuï¬g so belästigt?«
»Jetzt, wo Mr. Hawkins mich nicht mehr beschützen kann, sind sie mutiger geworden.«
»Mutig nennen Sie das?« Er sah sie an.
Sie warf den Kopf zurück. »Sie machen mir keine Angst. Mark Salter bildet sich ein, ich müsste seine Frau werden. Sie spielen die Beleidigten, weil ich ihn abgewiesen habe. Als würde ich auch nur daran denken, einen so primitiven Menschen zu heiraten.«
Als sie die schmale, von Hecken und Buchen gesäumte StraÃe zum Haus erreichten, wollte sie ihm den Korb abnehmen. »Vielen Dank, Mr. Finborough. Jetzt komme ich schon zurecht.«
»Unsinn. Ich bringe Sie vor die Tür.«
Die Schatten der Buchenzweige bildeten ein netzartiges Muster auf der StraÃe; jenseits der Bäume verdeckte dichtes Haselgebüsch Hügel und Dorf.
Es war angenehm, Seite an Seite mit ihr durch das lichtgesprenkelte Halbdunkel zu gehen. Einer dieser Dorfrüpel wollte sie also heiraten; und was wollte er selbst â Richard Finborough â von ihr? Er begehrte sie, ja, aber was er empfand, war nicht nur körperliches Verlangen. Er wollte noch etwas anderes: ihre Aufmerksamkeit vielleicht, ihre Wertschätzung. Er wollte diese Gleichgültigkeit überwinden, die sie ihm gegenüber an den Tag legte und die ihn kränkte.
Sie waren am Haus angekommen. Einen Moment schien sie unschlüssig, als sie vor der Gartenpforte anhielten, dann sagte sie hastig: »Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten, Mr. Finborough?«
Er dankte ihr. Auf dem Weg zur Haustür erzählte sie ihm, dass ein Neffe ihres verstorbenen Arbeitgebers, ein Mr. Poole, der in Indien lebte, das Haus erbte. »Ich habe heute Morgen einen Brief von ihm bekommen«, sagte sie. »Er hat vor, so bald wie möglich nach England zu kommen. Ich hatte gehofft â¦Â«
»Was?«
»Dass Mr. Poole in Indien bleiben würde. Und mich beauftragen würde, mich um das Haus zu kümmern. Naiv, ich weiÃ.«
»Ist es nicht möglich, dass er Sie als Haushälterin behält?«
Sie sperrte die Haustür auf. »Mr. Poole hat Frau und Kinder. Irgendjemand würde sich bestimmt berufen fühlen, Mrs. Poole über mich aufzuklären, und ich würde entlassen werden.« Sie ging ins Haus. Richard folgte ihr. »AuÃerdem«, fügte sie hinzu, »würde ich es wahrscheinlich mit fremden Menschen hier gar nicht aushalten.« Der Blick der klaren grünlichblauen Augen traf kurz den seinen, als sie sagte: »Ich habe Charles nämlich wirklich geliebt. Nicht in dem Sinn natürlich, wie es der Klatsch mir vorwirft â aber ich habe ihn geliebt.«
Als er ins Haus trat, verspürte er neben Neugier und Interesse ï¬Ã¼chtigen Triumph. Er hatte die äuÃerste Mauer der Festung erstürmt. Im Vestibül stand, neben den an Haken hängenden Tweedjacken und Ãlmänteln, ein Elefantenfuà als Schirmständer. Auf dem Fensterbrett gruppierten sich wie Planeten, die durch den Weltraum rasten, drei Globen. Bücher stapelten sich in deckenhohen Regalen im langen Flur, einige davon neu, die meisten jedoch alt und abgegriffen, mit nur noch an Fäden hängenden Rücken.
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