Das Haus Nucingen (German Edition)
Genosse du Tillet paßt gut zu ihm,« sagte Finot. »Denkt nur, dieser du Titlet ist ein Mann, der von Haus aus nur das Nötigste zum Leben hat; und dieser Kerl, der 1814 keinen Heller besaß, hat sich zu dem emporgeschwungen, was er jetzt ist. Aber was keiner von uns – dich nehme ich aus, Couture – fertiggebracht hat: er wußte sich anstatt der Feinde Freunde zu schaffen. Kurz, er wußte sein Vorleben so gut zu verbergen, daß man einen ganzen Sumpf durchforschen mußte, um dahinterzukommen, daß er noch 1814 Handlungsdiener bei einem Parfümeriehändler der Rue Saint-Honoré gewesen ist.« »Ta ta ta!« erwiderte Bixiou, »wie könnt ihr einen Vergleich ziehen zwischen Nucingen und diesem jämmerlichen Schwindler du Tillet, diesem Schakal, der von seiner Schnüffelnase lebt, der die Kadaver riecht und als Erster herbeigelaufen kommt, um sich den größten Knochen zu sichern. Stellt euch nur einmal beide Männer vor: der eine hat einen spitzen Katzenkopf, er ist mager, gewandt; der andere ist massig und fett, plump wie ein Sack, beharrlich wie ein Diplomat. Nucingen hat eine schwere Hand und den toten Blick des Börsenspekulanten; seine Kampfmethode ist nicht ein Draufgehen, sondern ein stilles Überlisten; er ist nie zu durchschauen, man weiß nichts von seinem Kommen, während die Schlauheit jenes du Tillet nur zu vergleichen ist mit einem zu dünnen Faden: er reißt, wie Napoleon einmal von irgendwem gesagt hat.« »Ich sehe eigentlich keine andere Überlegenheit Nucingens über du Tillet, als die, herausgefunden zu haben, daß ein Finanzmann nur Baron zu sein braucht, während du Tillet sich in Italien zum Grafen erheben lassen will,« sagte Blendet. »Blondet ... ein Wort, mein Junge,« sagte Couture. »Zunächst hat Nucingen auszusprechen gewagt, daß es nur scheinbar Ehrenmänner gibt; ferner muß man, um ihn gut zu kennen, mit seinen Geschäften vertraut sein. Die Bank ist bei ihm das wenigste. Er hat die Lieferungen für die Regierung, die Weine, die Wäsche, den Indigo, kurzum alles, was irgendeinen Gewinn abwirft. Alles, was ihm Vorteil bringt, weiß er sich zu verschaffen. Dieser Finanzriese würde dem Ministerium Deputierte verkaufen und den Türken die Griechen. ›Der Handel ist für ihn‹, würde Cousin sagen, ›die Gesamtheit der Einzelheiten, die Einheit der Vielheiten.‹ Wenn man die Bank aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, so wird sie ein ganzes Staatswesen, sie verlangt einen überlegenen Kopf und kann einen Mann wohl dazu bringen, sich über die Gesetze der Redlichkeit, die ihn beengen, zu erheben.« »Du hast recht, mein Sohn,« sagte Blondet. »Aber wir allein sind es, die begreifen, daß das der Krieg ist. Der Bankier ist ein Eroberer, der seine Heeresmassen opfert, um verborgene Zwecke zu erreichen; seine Soldaten – das sind die Anteile des Einzelnen. Er hat seine Schlachtordnung zu entwerfen, Hinterhalte zu legen, Anführer zu wählen, Städte einzunehmen. Die meisten dieser Männer haben so viel mit Politik zu tun, daß sie schließlich auch hier mitreden wollen und ihr Vermögen dabei verlieren. Auf solche Weise ist das Haus Necker zugrunde gegangen, und der bekannte Samuel Bernard ist fast darüber zusammengebrochen. Fast jedes Jahrhundert hat seinen ungeheuer reichen Bankier, der schließlich weder Geld noch Erben hinterläßt. Die Brüder Pâris, die dazu beitrugen, Law zu stürzen, und Law selber, neben denen alle andern Pygmäen sind, Bouret und Beaujon – alle sind dahin, ohne Familie zu hinterlassen. Wie die Zeit, so frißt auch die Bank ihre Kinder. Um bestehen zu können, müssen die Bankiers adlig werden, eine Dynastie begründen, wie die Gläubiger Karls V., die Fugger, die zu Fürsten von Babenhausen ernannt wurden und die noch immer bestehen ... im Gothaer Almanach. Die Bank sucht lediglich aus Erhaltungstrieb und vielleicht sogar ohne es zu wissen, nach dem Adelstitel. Jacques Coeur hat ein großes Adelsgeschlecht begründet, das Geschlecht der Noirmoutier, das unter Ludwig XIII. erlosch. Welch eine Energie bewies der Mann, der sich zugrunde richtete, um einen rechtmäßigen König zu schaffen! Er starb als Beherrscher irgendeiner Insel im Archipel, wo er eine herrliche Kathedrale erbaute.« »Ja, wenn ihr auf geschichtliche Ereignisse zurückgreift, so verlieren wir uns aus der Gegenwart; in unserer Zeit ist die Krone des Rechtes beraubt, den Adelstitel zu erteilen, und man macht die Grafen und Barone nur bei geschlossenen Türen, wie schade!« sagte Finot.
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