Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
könnte ihm abhanden kommen. So wirst du nie für einen anderen Freude empfinden können.«
    »Was muss ich tun?«
    »Man darf nichts für sich selber wollen.«
    »Willst du behaupten, dass du nichts für dich selber haben willst?«, fragte er ungläubig.
    Ich nickte.
    »Wie kann das sein?«
    »Ich dachte, ich hätte es dir schon erklärt. Schaut man lange genug in sich hinein, merkt man, dass da gar nichts ist. Wie könnte man für dieses Nichts etwas beanspruchen wollen?«
    »Aber wenn in dir schon nichts ist, dann in den anderen doch erst recht nicht?«
    »Genau genommen ist tatsächlich nirgendwo was drin«, sagte ich. »Man hat nur die Wahl, womit man die Leere füllt. Und freust du dich für einen anderen, so füllst du sie mit Liebe.«
    »Wessen Liebe ist das? Wenn niemand da ist, wessen Liebe könnte es sein?«
    »Das ist der Leere egal. Und auch du solltest dir darüber nicht den Kopf zerbrechen. Aber wenn du nach einem Sinn für dein Leben suchst – einen Bessren findst du nicht!«
    »Und was ist Liebe anderes als Leere?«
    »Sie ist Leere.«
    »Wo ist dann der Unterschied?«
    »In der Leere.«
    Er dachte eine Weile nach.
    »Könnte man die Leere nicht auch … sagen wir: mit Gerechtigkeit füllen?«
    »Wenn du damit anfängst, wirst du sehr schnell zum Kriegsverbrecher.«
    »Ich glaube, da verwechselst du was, Füchslein. Wieso zum Kriegsverbrecher?«
    »Na, wer soll denn deiner Meinung nach entscheiden, was gerecht ist und was nicht?«
    »Die Menschen.«
    »Und wer entscheidet, was die Menschen entscheiden sollen?«
    »Kommt Zeit, kommt Rat«, sagte er und blickte auf eine an ihm vorbeischwirrende Fliege, die im nächsten Moment zu Boden fiel.
    »He, da lässt aber einer das Tier raushängen … Eiferst wohl denen nach?«, fragte ich, mit dem Kopf in Richtung Stadt deutend.
    »Ich gehöre zu ihnen«, sagte er.
    »Zu wem?«
    »Zum Volk.« »Hallo, ich hör wohl nicht recht. Volk?«
    Das dem Wort innewohnende Pathos schien ihn selbst verlegen zu machen, er wechselte eilig das Thema.
    »Ich überlege, ob ich nicht mal auf Arbeit vorbeigehe. Um nach dem Rechten zu sehen.«
    Ich war sprachlos.
    »Meinst du das im Ernst? Waren drei Kugeln noch nicht genug? Brauchst du mehr?«
    »Es könnte ein Versehen gewesen sein. Mangelnde Koordination, so was gibt es.«
    »Mangelnde Koordination!«, stöhnte ich. »Das hat System! Und wenn du denkst, dieses System kann Solisten gebrauchen … Da wird im Chor gegrunzt!«
    »Notfalls kann ich auch das. Überleg doch mal selbst: Was machen wir, wenn das Geld alle ist?«
    »Ha, wenns weiter nichts ist! Mach dir darüber keine Sorgen. Die Stadt ist keinen Kilometer entfernt. Ich geh vor dem Einkaufen schnell auf den Strich.«
    Er zog die Stirn in Falten.
    »Untersteh dich, so zu reden!«
    »Und du untersteh dich, ›untersteh dich!‹ zu sagen!«
    »Mein Mädel geht auf den Strich, so weit kommts noch … Ich fass es nicht!«
    »Mein Mädel. Wenn ich das schon höre! Wann hast du mich denn privatisiert?«
    »Du willst mit Prostitution Geld verdienen! Und ich soll von dem Geld leben! Das ist doch der blanke Dostojewski!«
    »Den hab ich gefickt, deinen Dostojewski!«, entfuhr es mir.
    Er sah mich neugierig an.
    »Und? Wie war's?«
    »Ging so.«
    Wir mussten beide lachen. Ich weiß nicht, wieso er, für mich gab es einen Grund. Aus Respekt vor der russischen Literatur mag ich ihn hier nicht anführen, nur so viel: Die kleine rote Spinne aus den Dämonen ist mir seinerzeit über den Rockzipfel gekrochen … Ach, wie vielen Titanen des Geistes habe ich im Laufe der Zeit mein bescheidenes kleines Präsent gemacht! Das Einzige, was mir richtig Leid tut: dass es mir nicht persönlich vergönnt war, den Becher an Vladimir Nabokovs Lippen zu führen, den er so meisterlich ausgemalt hat. Die SU machte damals Probleme bei der Ausreise. Noch so eine Missetat, die dem finsteren kommunistischen Regime schwer auf dem Gewissen lasten möge.
    Bloß gut, dass wir mit diesem Gelächter unseren Streit begruben. Beinahe hätte ich einen Fehler begangen: Man soll einem Mann nie frontal an den Karren fahren, schon gar nicht, wenn sein Selbstwertgefühl angeschlagen ist. Ich musste erst einmal herauskriegen, was in seinem Kopf vorging.
    »Zieht es dich an die Ölpumpen zurück?«
    »Das nun gerade nicht. Da ist jetzt Michalytsch am Heulen.«
    Es sah ganz danach aus, als hätte er während seiner Abwesenheit Kontakt zur Außenwelt aufgenommen – sich vielleicht mit jemandem getroffen oder telefoniert.

Weitere Kostenlose Bücher