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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Doch ich mochte ihm in diesem Punkt nicht unnötig nachspionieren.
    »Michalytsch? Bei seinem Geheul sind dem Schädel neulich nicht die Tränen gekommen.«
    »Sie haben eine neue Technologie ausgetüftelt. Ein Mix aus fünf Kubik Ketamin und drei Kubik Pervitin, und anschließend noch ein Elektroschock.«
    »Auf den Schädel?«
    »Auf Michalytsch.«
    »Mann, ist das pervers.«
    »Das kannst du laut sagen. So ist er in einem Jahr ruiniert.«
    »Du meinst, Michalytsch?«
    »Michalytsch? Dem ist das egal. Nein, der Schädel. Er hat sowieso schon überall Risse von den vielen Tränen … Neureiche Banausen sind das. Hauptsache, das Öl läuft, sie scheffeln ihr Geld – und fertig ist die Laube. Was morgen wird, daran verschwenden die keinen Gedanken.«
    »Was ist das eigentlich für ein Schädel, sag mal?«, wagte ich die Frage zu stellen, die mich schon lange beschäftigte. Darauf reagierte er gleich wieder fad.
    »Das darf ich nicht sagen. Staatsgeheimnis. Und überhaupt mag ich nicht über die Arbeit reden.«
    Dass er diesen Verein immer noch als seine Arbeit ansah, wunderte mich nicht. Es gibt Stellen, die man nicht von sich aus kündigen kann. Was mich erstaunte, war nur, dass er sich nach den Leuten zurücksehnte, die ihm drei Silberkugeln auf den Pelz gebrannt hatten. Übrigens hatte ich immer noch keine Ahnung, wer dies getan hatte und warum – Alexander hatte nichts erzählt.
    »Wohin dann, wenn nicht zum Öl?«, fragte ich.
    »Ein Überwerwolf findet immer Beschäftigung.«
    »Wie bitte?« Ich verzog das Gesicht. »Welcher Überwerwolf ist gemeint?«
    »Na, ich«, erwiderte er verwundert.
    »Seit wann bist du denn ein Überwerwolf?«
    »Wie, seit wann? Du warst doch dabei!«
    »Und du glaubst im Ernst, du bist der Überwerwolf?«
    »Was heißt hier glauben? Ich weiß es.«
    »Was verschafft dir die Gewissheit?«
    »Na, zum Beispiel das hier«, sagte er. »Pass auf.«
    Prompt stürzte eine weitere Fliege ab, die eben noch unter der Decke gekreist war. Es sah lustig aus: Die Fliegen fielen nicht senkrecht, sondern in Parabeln, aus der vollen Bewegung, es sah aus wie winzig kleine Kamikazes, die im Sturzflug auf den Feind hinabstießen.
    »Hör doch auf, den wilden Mann zu markieren«, sagte ich. »Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«
    »Wie meinen?«
    »Na, nehmen wir an, du kannst Fliegen von der Decke holen. Nehmen wir an, du bist Pisdez und Garm in einem. Wozu musst du unbedingt auch noch Überwerwolf sein?«
    »Wer sollte es sonst sein, wenn nicht ich?«
    »Wie oft muss ich es dir noch sagen: Das Überwerwesen ist eine Metapher. Es auf ein konkretes Wesen zu beziehen wäre primitiv, eine Auslegung auf unterstem Niveau.«
    »Dann lass es mich einfach auf unterstem Niveau sein«, sagte er in versöhnlichem Ton. »Oder gönnst du es mir nicht, Füchslein?«
    »Nein, komm mir jetzt nicht so. Lass uns die Sache ausdiskutieren.«
    »Von mir aus«, sagte er seufzend.
    »Stell dir vor, ich gehe auf den Arbat und kaufe mir beim Straßenhändler eine Uniform. In der laufe ich durch die Stadt und bilde mir ein, ich wäre General beim Geheimdienst. Du sagst: Du bist doch gar kein General. Darauf ich: Komm schon, lass mich General sein, oder gönnst du es mir etwa nicht?«
    »Das ist etwas völlig anderes. General, das ist ein Rang, der von einer bestimmten Institution zuerkannt wird.«
    »Genau das meine ich. Überleg mal, woher du von dem Überwertier überhaupt weißt. Doch nicht von Michalytsch, oder?«
    »Natürlich nicht.«
    »Es muss ein bestimmtes weltanschauliches System geben, dem dieser Begriff entstammt. Das Überwertier ist darin ein genausolcher Rang wie ein General. Zuerkannt von der Tradition. Einer, mit der du so viel am Hut hast wie ich mit deinem Verein. Verstehst du, was ich meine, Grauer?«
    »Wohingegen du natürlich einen heißen Draht zu dieser Tradition hast, Füchslein, hab ich Recht?«
    »Nicht bloß einen Draht«, sagte ich. »Ich bewahre sie. Als ein Linienhalter, das ist der exakte Begriff dafür.«
    »Um welche Linie geht es?«
    »Die Übertragungslinie.«
    »Soso. Du bist also hier wieder mal die absolute Autorität, wie? Reißt du die Klappe nicht ein bisschen weit auf? Kannst du so viel wegtragen auf deinen schmalen Schultern, sag mal?«
    »Du darfst die mystische Tradition nicht mit dem Shangri-La Casino verwechseln. Linienhalter heißen nicht so, weil sie sich eine Linie unter den Nagel reißen. Sie halten daran fest, das ist es.«
    Meine Antwort schien ihn zu

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