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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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von dem? Das nordische Projekt schlägt doch eher in dein Fach.«
    »Nein«, sagte er. »Nie gehört. Ist ja interessant. Erzähl mehr!«
    »Ein grausiger Köter, Doppelgänger des Wolfes Fenris. Tritt während der Ragnarök in Erscheinung. Bis dahin bewacht er das Totenhaus.«
    »Hast du noch mehr Informationen?«
    »Nichts Genaues … Mir ist, als sollte er den Männern heimlich beim Feuermachen zuschauen und das Geheimnis den Frauen verraten …«
    »Abgelehnt«, brummte Alexander. »Sonst noch was?«
    »Das ist alles, was ich noch weiß.«
    »Und was lassen sich daraus für praktische Schlüsse ziehen?«
    »Zu Garm kann ich nichts sagen. Da müsstest du in Island Erkundigungen einziehen. Und was den Pisdez betrifft … Probiers doch mal, irgendwo draufzutreten.«
    Das war im Scherz gesagt, aber er nahm meine Worte vollkommen ernst.
    »Wo denn drauf?«
    Seine Ernsthaftigkeit steckte mich an. Ich ließ den Blick durch den Raum gehen. Notebook? Kam nicht in Frage. Wasserkocher? Nein. Die Lampe?
    »Versuch mal die Lampe«, sagte ich.
    Es brauchte nur einen Moment, dann flammte aus der Glühbirne ein greller, bläulicher Blitz, und sie erlosch. Finsternis trat ein, doch die auf der Netzhaut abgebildete Spirale versorgte meine innere Welt noch ein paar Sekunden länger mit dem Echo des erloschenen Lichts. Als auch dieser Abdruck verblasst war, wurde die Finsternis vollkommen. Ich stand auf, ertastete die Taschenlampe auf der Holzkiste, die uns als Tisch diente, knipste sie an. Ich war allein.
    Er blieb zwei Tage weg. Ich verging fast vor Sorge und Ungewissheit. Doch als er dann hereinkam, machte ich ihm keine Vorwürfe. Das Lächeln auf seinem Gesicht entschädigte mich ausreichend für alle meine Zustände. Tschechow hat schon Recht gehabt: Die weibliche Seele ist ihrer Natur nach ein leeres Gefäß, gefüllt mit Freud und Leid des Geliebten.
    »Und? Wie wars? Erzähle!«
    »Was gibt es da zu erzählen«, erwiderte er. »Das muss man zeigen.«
    »Weißt du jetzt, wie es geht?«
    Er nickte.
    »Und wo kannst du überall drauftreten?«
    »Überall«, verkündete er.
    »Allem und jedem?«
    Erneutes Nicken.
    »Mir auch?«
    »Wenn du mich sehr darum bittest …«
    »Und dir selber?«
    »Das hab ich als Erstes probiert«, sagte er nach einem komischen Räuspern. »Gleich nach der Glühbirne. Was wäre ich sonst für ein Pisdez?«
    Meine Neugier war geweckt. Ein bisschen Bangigkeit war allerdings auch dabei: Es handelte sich um einen nicht zu unterschätzenden metaphysischen Akt.
    »Und was für einer bist du?«, fragte ich mit von Ehrfurcht gedämpfter Stimme.
    »Ein hundertprozentiger.«
    In diesem Augenblick ging so viel Kraft und romantisches Geheimnis von ihm aus, dass ich nicht an mich halten konnte: Ich streckte die Hände nach ihm aus, um ihn an mich zu ziehen und zu küssen. Er erblasste, fuhr zurück – doch dann muss ihm eingefallen sein, dass Machos sich nicht so aufführen, und er ließ mich gewähren. Alle Muskeln seines Körpers waren angespannt, doch es geschah nichts Schreckliches.
    »Wie sehr ich mich für dich freue, Liebster!«, sagte ich.
    Unter den Werwesen wissen die wenigsten, was es heißt, sich für einen anderen zu freuen. Die schwanzlosen Affen wissen es noch viel weniger; sie setzen ihr strahlendes Lachen auf, wenn dies geraten scheint, um ihre soziale Anpassungsfähigkeit unter Beweis zu stellen und somit die Verkaufszahlen zu erhöhen. Der schwanzlose Affe mimt Freude für den anderen und fühlt doch nur Neid oder weiß bestenfalls die Contenance zu wahren. Ich aber empfand diese Freude tatsächlich – ein Gefühl, wie ein Bergquell so lauter und rein.
    »Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich für dich freue!«, musste ich gleich noch einmal sagen und ihn küssen.
    Diesmal wich er nicht aus.
    »Tatsächlich?«, fragte er. »Aber warum denn?«
    »Weil du endlich mal gute Laune hast. Dir geht es besser. Und ich liebe dich.«
    Seine Miene verdüsterte sich ein wenig.
    »Ich dich auch. Aber ich kann mir nicht helfen: Ich denke die ganze Zeit, du wirst mich verlassen. Und dass es dir dann besser gehen wird. Doch das würde mich gar nicht für dich freuen.«
    »Erstens habe ich nicht die Absicht, dich zu verlassen«, sagte ich. »Und zweitens ist das Gefühl, von dem du sprichst, keine Liebe, sondern ein Ausfluss von Egoismus. Für den Chauvi in dir bin ich nur ein Spielzeug, Eigentum, Statussymbol, Trophäe. Und du fürchtest mich zu verlieren, wie ein Besitzer fürchtet, ein wertvolles Ding

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