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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Steppe, ich weiß es, hab's gehört beim Stab … es sollen tausend sein und mehr. Nur über die Wolga kommen sie nicht, man kann sie abschießen wie lahme Hunde, wenn sie mit der Fähre übergesetzt werden. Aber wenn es friert … Genosse Major, da fahren sie über die Wolga, wo sie wollen … So viel Rohre haben die Deutschen gar nicht, um sie überall zu treffen.« Abranow, der Greis, hatte sich in Hitze geredet. Außerdem war sein Kanten Brot jetzt so aufgeweicht, daß er hineinbeißen konnte. Er tat ein paar kräftige Bisse, wälzte das Brot zwischen den Zähnen und über den Gaumen, kaute dann knirschend und schluckte es in großen Brocken hinunter. Das ist zwar für einen Magen nicht gesund, aber wer Hunger hat, lebt nicht nach einem ärztlichen Ratgeber.
    Major Kubowski schwieg. Was sollte man auch sagen? Hinter ihnen starb Stalingrad. Vor ihnen lag die Wolga, und wenn man daran dachte, was die alten Bauern sagten, konnte man stumm und nachdenklich werden. Sie sagten nämlich: »Solange der Feind Mutter Wolga nicht bezwungen hat, ist Rußland nicht verloren!« Und nun stand sie an der Wolga, eine ganze deutsche Armee, und vor ihr lag die Steppe von Kasachstan, ein offenes, tellerglattes Land, durch das sie hindurchziehen konnte bis ans Ende der Welt.
    Das darf nie sein, hieß es immer wieder. Und wenn in Stalingrad sämtliche Männer Rußlands verbluten … aus ihren Leibern bauen wir eine Mauer vor die Wolga. Das war nicht so dahergeredet, bei Gott nicht! Major Kubowski hatte es erlebt. Vier Bataillone hatte er in den Trümmern an der Stadt gelassen, und immer, wenn er zurückkam an das Steilufer, stand ein neues Bataillon bereit, wie Schlachthammel mit leeren, großen Augen, und wurde hineingeführt in die Hölle am Hüttenwerk ›Roter Oktober‹ oder zu jener merkwürdig geformten, mitten in der Stadt liegenden Eisenbahnschleife, die man ›Tennisschläger‹ getauft hatte. Hier bissen sich die Rotarmisten in jeden Zentimeter Dreck, krallten sich an jeden Trümmerstein und bauten wahrhaftig einen Wall aus ihren blutigen Leibern.
    Abranow, der Greis, hatte seinen Kanten Brot aufgegessen. Er war durchaus nicht satt, aber er hatte doch ein klein wenig das Gefühl, daß sein Magen keine hallende Höhle mehr sei. Am Steilufer der Wolga diente er der Armee als Handlanger für alles. Er schleppte Bahren mit Verwundeten, begrub die Gefallenen, sortierte Kisten mit Munition und kochte in großen Eisenwannen, die eigentlich Rohstücke für Panzerkuppeln sein sollten, Hektoliter von Tee, um die abgelösten erschöpften Soldaten von innen zu stärken, ja, er reparierte sogar Geschütze, nicht am Verschluß, denn das ist eine Facharbeitersache, sondern an den Rädern und Lafetten und Schutzschilden. Als man Pawel Nikolajewitsch Abranow aus Stalingrad evakuieren wollte, vor ein paar Wochen, als sich herausstellte, daß die deutschen Divisionen durchbrachen und die Stadt Stück um Stück, Haus nach Haus, eroberten, hatte er geschrien: »Was, Genossen? Ich soll aus meiner Stadt hinaus? Ja, bin ich denn kein Russe? Was wollt ihr mit mir tun, Brüder? Auch wenn ich alt bin … verlaßt euch drauf, ich habe ein junges Herz!« So war er in Stalingrad geblieben, und mit ihm Tausende von Greisen, Frauen und sogar Kindern, während die Arbeiter in den Fabriken zu den Waffen griffen und sich in die Front einreihten.
    »Wann müssen Sie wieder weg, Genosse Major?« fragte er Kubowski.
    »Morgen.«
    »Wieder zum ›Tennisschläger‹?«
    »In die alte Stellung.«
    »Sie werden sie halten, nicht wahr?«
    »Dort wird keiner an die Wolga kommen!«
    Sie zogen die Köpfe ein, obwohl sie im toten Winkel der deutschen Geschütze lagen. Über ihnen heulte und orgelte es heran und schlug in die Wolga ein und jenseits der Wolga in die Wälder nördlich von Krasnaja Sloboda. Dort stand, gut getarnt, die schwere Artillerie. Tag und Nacht feuerte sie in die Trümmer der Stadt und wühlte sie immer wieder um, so wie man einen Teig knetet, damit er nicht klumpig, sondern gleichmäßig wird. Deutsche Aufklärer hatten die Stellungen ausgemacht, und seitdem gab es ein Duell über die Wolga hinweg. Aber es nutzte wenig. Niemand wußte, wieviel schwere Geschütze in den Wäldern standen. Es mußten Tausende sein, denn sie schossen weiter, als gäbe es keine deutsche Artillerie.
    »Panzer brauchen wir, Genosse Major«, sagte Abranow, der Greis, wieder. »Und wenn die Wolga gefroren ist, kommen sie wie die Mücken! Dann wird es einfach sein, die

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