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Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Kapitel 1
    Es gibt ein Ablaufdatum für die Schuldzuweisung an Eltern und falsche Erziehung. In dem Moment, in dem du alt genug bist, auf eigenen Füßen zu stehen, liegt die Verantwortung allein bei dir.
    J. K. Rowling, Rede vor Absolventen der
    Universität Harvard
    An einem sehr kalten Tag während meines zweiten Studienjahres, als ich nur eine Stunde von zu Hause entfernt in einem Studentenwohnheim auf dem Campus lebte, kam mein Vater von einem zweitägigen Seminar über Finanzplanung zurück und fand in seinem Bett einen Mann vor, den er zunächst für einen Fremden hielt. Selbst nachdem er die Deckenbeleuchtung angeknipst hatte, erkannte er das Gesicht des bärtigen Mannes nicht, der mit offenem Mund auf einem der festen Nackenkissen schlief, die mein Vater immer so sehr vermisste, wenn er auf Reisen war. In diesen ersten, verwirrenden Augenblicken, erzählte mein Vater mir später, habe er die Situation einfach nicht erfasst. Er hatte schnell eine Erklärung für seine Begriffsstutzigkeit parat: Seine Erfahrung als Strafverteidiger hatte ihn gelehrt, dass Menschen das Unerwartete oft nicht verstehen; das menschliche Gehirn kann sich weigern, Dinge, die unmöglich scheinen, zu verarbeiten. Als »blind vor Naivität« beschrieb er es mir in einem seiner verwundbareren - oder vielleicht auch berechnenderen - Momente. Selbst nachdem er das Licht angeschaltet hatte, sagte er, habe er mehrere Sekunden gebraucht, um das blonde Haar und die hübschen Züge eines der Männer, die im vergangenen Sommer Arbeiten an unserem Dach durchgeführt hatten, wiederzuerkennen. Naivität hin oder her, es überrascht mich, dass er den Mann überhaupt erkannt hat. Mein Vater arbeitete immer lang, weshalb die Reparatur des Daches - ebenso wie alles andere, was mit dem Haus zu tun hatte - in den Zuständigkeitsbereich meiner Mutter fiel.
    Die gebräunten Schultern des Dachdeckers guckten unter der Bettdecke hervor. Er wachte nicht auf, als mein Vater das Licht anmachte. Bowzer, unser Hund, lag zusammengerollt am Bettende, sein silbergraues Kinn auf einer Wölbung der Decke, unter der sich der rechte Fuß des Mannes zu verbergen schien. Als mein Vater gegen das Bett trat, drehte sich der Dachdecker mit einem Seufzer um und legte einen Arm über seine Augen. Mit der anderen Hand schien er nach etwas - oder jemandem - zu tasten, aber mein Vater hatte angeblich immer noch keine Ahnung, was los war. Unser Haus befand sich in einer kleinen Sackgasse in einem Vorort von Kansas City, der für seine Sicherheit, die hervorragenden öffentlichen Schulen und das völlige Fehlen öffentlicher Verkehrsmittel bekannt ist, trotzdem behauptete mein Vater, habe er den Mann viel zu lange tatsächlich für einen geistig verwirrten, unrasierten Streuner gehalten, der bei uns eingebrochen war, um ein Vormittagsschläfchen zu halten.
    »Ich war erschöpft«, erklärte er mir später. »Okay, Veronica? Verstehst du? Ich hatte den ganzen Tag im Flugzeug gesessen. Alles, was ich wollte, war, nach Hause kommen, mich umziehen und vielleicht sogar, Gott behüte, etwas zu essen vorgesetzt bekommen - und dann gerate ich da hinein!«
    Er sagte, die Situation habe erst einen Sinn ergeben, als er den Zettel entdeckt habe. Er war in der Mitte gefaltet und thronte wie ein kleines Zelt auf den Arbeitsschuhen des Dachdeckers, die mitsamt den hineingeknautschten Wollsocken neben dem Bett standen. Noch bevor mein Vater den Zettel aufhob, erkannte er das linierte, gelbe Papier. Es gehörte zu einem Block, den meine Mutter in der Nachttischschublade aufbewahrte, um interessante Textstellen aus Büchern und Geschenkideen aus Katalogen - die sie ebenfalls im Bett las - herauszuschreiben.
    »O wolkenblasse Lider, traumverhang'ne Augen ...« Du siehst im Schlaf so schön aus, dass ich es nicht übers Herz bringe, dich zu wecken. Denk trotzdem dran, vor drei Uhr zu verschwinden. (Und nimm diesen Zettel mit!) Ich rufe dich an. Und ich verspreche dir, den ganzen Tag lang darüber nachzudenken, tapfer zu sein.
    Die Nachricht war nicht unterschrieben, aber mein Vater erkannte natürlich die schöne, saubere Handschrift meiner Mutter. Er schaute auf ihren Nachttisch. Das Buch von Philip Roth, das sie gelesen hatte, als er abfuhr. StriVectin-Handcreme. Eine Tube Himbeer-Lippenbalsam, den sie mit Vorliebe - und seiner Meinung nach unnötigerweise - mitten in der Nacht auftrug. Er erzählte, dass sein Verstand zwar in der Lage gewesen sei, zu registrieren, was offensichtlich war, er aber

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