Das Herz der Puppe (German Edition)
heute.«
Die Tante nickte nur, aber die Mutter musste lachen, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Sie schaltete schnell die Kaffeemaschine ein und ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen.
»Meine güte«, hörte Nina die Tante ausrufen, »das ist eine generation! Da fällt mir vor Schreck das gebiss aus dem Mund.«
»Nina wird immer frecher. Das lernt sie in der Schule«, sagte der Vater, als wollte er sich dafür entschuldigen.
»Ja, die Schulen«, sagte die Tante, » die waren früher …«
Aber da war Nina mit Widu schon losgerannt. Sie konnten nicht mehr hören, wie gut die Schulen früher angeblich waren, aber sie konnten es sich denken.
»Dabei hat sie dort mehr geheult als gelacht«, sagte Widu.
»Meinst du?«
»Nein, das weiß ich«, sagte die Puppe, die schon so viele Mädchen gekannt hatte.
Beim Zahnarzt
Im Frühjahr musste Nina zum Zahnarzt . Vor nichts auf der Welt hatte sie so viel Angst, aber sie musste regelmäßig zur Kontrolle gehen, das war nun mal so. Schon einen Tag vorher hatte sie immer schreckliche Bauchschmerzen. Früher, als sie noch ganz klein war, hatte sie zu ihrer Mutter gesagt, der Zahnarzt mache eine Baustelle in ihrem Kopf. Damals wohnten sie neben einer Baustelle, und Nina konnte hören und sehen, wie die Arbeiter dort mit Presslufthämmern und Bohrmaschinen hantierten. Sogar spüren konnte man das. Aber die Mutter hatte nur über den komischen Satz gelacht und Nina nicht ernst genommen. So richtig ernst nahm sie Ninas Angst vor dem Zahnarzt immer noch nicht.
Widu schon!
»Also Angst kannst du heute nicht haben, weil ich nämlich großen Hunger habe. Trotzdem wollen wir sehen, dass der Herr Doktor schön vorsichtig arbeitet, sonst beiße ich ihn. Das kannst du ihm sagen, und alles andere überlässt du mir.«
Im Wartezimmer saßen viele Patienten, und Nina sah die Angst in den Augen der anderen Kinder.
»Hol doch das Comic-Heft da drüben und lass uns zusammen Bilder anschauen!«, flüsterte Widu.
Die geschichten in dem Heft waren lustig, und Widu musste darüber so herzlich lachen, dass auch Nina bald alles andere vergaß.
Ninas Mutter wunderte sich. Zum ersten Mal sah sie ihre Tochter beim Zahnarzt lachen, und sie wunderte sich noch mehr, als Nina ihr sagte, sie wolle allein ins Sprechzimmer gehen, sie sei schließlich kein Baby mehr. Die Erwachsenen ringsum nickten anerkennend, und Nina marschierte der Sprechstundenhilfe, die sie aufrief, fröhlich hinterher.
»Vorsicht, sie beißt!«, sagte sie zu dem Zahnarzt und hielt Widu in die Höhe. »Sogar ein riesengroßer Dobermann hat Reißaus genommen, als sie ihn nur böse angeschaut hat.«
»Um Himmels willen!«, rief der Zahnarzt und tat so, als bekäme er es mit der Angst. »Dann muss ich heute ja besonders vorsichtig sein.«
»Genau. Nina hat nämlich keine Zähne im Mund, sondern Perlen«, erklärte Widu und trat dem Arzt gegen das Bein.
»Oh, Entschuldigung!«, sagte der Arzt. »Fast hätte ich deiner Puppe wehgetan. Hat sie auch einen Namen?«
»Ja«, sagte Nina, »Widu.«
Als sie im Behandlungsstuhl saß, schaute der Zahnarzt prüfend in Ninas Mund, dann nickte er zufrieden und lächelte.
»Das sind keine Zähne, das sind Perlen«, sagte er zu ihrer Mutter, die auf leisen Sohlen ins Sprechzimmer gekommen war.
»Das hat Widu auch gesagt«, bestätigte Nina.
»Dann wollen wir der gefährlichen Puppe lieber nicht widersprechen«, sagte der Arzt und übergab Nina zum Abschluss ein kleines geschenk.
»Das ist Kaugummi, der dir die Zähne putzt. Magst du Kaugummi?«
Nina nickte, nahm das Päckchen und hüpfte mit der gefährlichen Widu im Arm zur Tür.
Der Tod
An einem hellen Frühsommertag starb die beste Freundin von Ninas Mutter bei einem Autounfall. Sie sei, erzählte die Mutter weinend, auf der Stelle tot gewesen. Zwei Stunden vor dem Unfall habe sie noch mit ihr telefoniert. Silke, so hieß die Freundin, habe am Wochenende mit ihrem Mann zu Besuch kommen wollen.
Nina kannte die fröhliche Freundin der Mutter gut. Sie hatte Nina immer ein geschenk mitgebracht, meistens etwas Schickes zum Anziehen. Silke, die keine eigenen Kinder hatte, war ein sehr großzügiger Mensch gewesen mit einem guten geschmack. Der Regenbogenpulli, den sie von Silke hatte, war seitdem Ninas Lieblingskleidungsstück. Auch Widu fand ihn klasse.
»Oh, wie ich den Tod hasse!«, sagte die Mutter weinend, und der Vater drückte sie an sich und streichelte ihr zärtlich den Rücken. Auch Nina
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