Schattenherz - Fesseln der Dunkelheit
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Ich laufe die Straße entlang und ziehe mir die Mütze tiefer ins Gesicht. Die morgendliche Novembersonne wärmt schlechter als ein Kühlschrank. Graue Nebelschwaden tanzen über den Kanaldeckeln wie aufsteigende Dschinn, die mit dem Wind spielen.
Die Kulisse ist malerisch. Orangerote Lichtstrahlen flammen durch die Straßen von Tulsa und werden von den verspiegelten Glasfronten der Geschäftsgebäude zurückgeworfen wie flüssiges Messing. Die Sonne ist meine Verbündete. Auch wenn ihr Schein zu dieser Jahreszeit kalt ist, wärmt mich der Gedanke, dass es etwas gibt, was Vampire nicht kontrollieren können.
Seit der Morgendämmerung verebbt der Feierabendverkehr. Vereinzelt fahren fensterlose Shuttlebusse oder Privatwagen vorbei. Sie bringen ihre Insassen nach Hause, um den Tag zu verschlafen. Nachts blüht sie – die Herrschaft der Blutsauger. Dann pulsiert die Stadt wie ein unheilvolles Herz. Lärm, Leben, geöffnete Geschäfte und in jedem Gesicht lange Zähne. Nun fällt alles in einen verlassenen Schlaf.
Zeitungspapier weht raschelnd vor mir her, begleitet mich um eine Straßenecke. Ich stocke innerlich. Das Licht schiebt sich langsam wie ein Wasserfilm an den Hauswänden hinab, doch der Gehweg vor mir liegt in Schatten. November. Spätere Sonnenaufgänge. Jeden Tag wird mein Weg zur Arbeit dunkler. Überdies ist die UV-Strahlung dieses kalten Morgens noch nicht bedenklich für Vampire und so treiben sich ein paar Nachzügler draußen herum. Lieber einsam als unter ihnen. Ihre Vorherrschaft macht mich krank. Als ich die Gruppe aus drei Männern passiere, bekomme ich die üblichen Kommentare zu hören.
„ Hey Süße, noch nicht angebissen?“, will einer wissen und die anderen lachen. „Ich könnte ja ein Frühstück vertragen. Wie wär's?“ Er grinst mich an und lässt seine Zähne zu voller Länge ausfahren. Sein Blick wird schwarz und die Adern treten aus seiner pergamentartigen Haut hervor.
„ Fernando, so kannst du doch mit einem Weltkulturerbe auf zwei Beinen nicht umgehen.“ Wieder lachen sie. Ich stelle mir vor, wie schön es wäre, wenn die Sonne sie verbrennt. Ich würde gerne gemeine Dinge sagen, aber ich tue es nicht, weil ich es nicht darf. Vampire haben Regeln für Menschen wie mich. Regeln ohne Rechte. Ich muss mich bedeckt halten, darf nicht zum Angriff provozieren, habe Vampiren den Vortritt zu lassen. Im Zweifel habe ich immer Schuld und sie immer Recht. Oder natürlich meine liebste Regel: Ich habe einen vampirischen Vormund, weil kein Mensch ohne sein darf.
Wortlos möchte ich an der Gruppe vorbei. Doch Fernando, der noch kein Frühstück hatte, stellt sich mir in den Weg und greift nach meinem Arm. Ich halte den Blick gesenkt, aber ich spüre, wie Panik meinen Nacken hinaufkriecht wie eine Viper. Mein einziger Schutz ist, dass ich bereits eine Herrin habe, dass er ihr Eigentum nicht verletzen sollte. Mehr bin ich im Zweifelsfall nicht – Sachbeschädigung.
Ich halte den Atem an und versuche mich klein zu machen. Fernando schabt mit einem langen Fingernagel unter meinem Kinn entlang.
„ Hm“, raunt er. „Wie ein weißer Pfirsich.“ Er schlingt einen Arm um meine Taille und zerrt mich an sich. Es ist wie die Umarmung eines Schraubstocks. Ich spüre die Kälte in meine Knochen kriechen und die Angst surrt unter meiner Haut wie ein Starkstromkabel.
Er legt den Kopf schief und betrachtet mich aus schmalen Augen. Augen, die kohlschwarz sind.
Seine Freunde stellen sich um uns wie ein Sichtschutz und ich höre sie lachen. Wie gelähmt hänge ich in seinem Griff.
„ Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages“, erklärt Fernando. „Das hat mir meine Mutter immer gesagt.“
Meine Worte flüstern mit dem Wind. „Ich gehöre Tylandora.“
Fernando zieht die Luft ein und seine Nasenflügel blähen sich auf. Ich spüre, wie sein Arm noch fester drückt, sehe die Wut, weil ihm die Felle davon schwimmen. Schmerz beißt durch meinen Rücken. Seine Hand ist durch die Lagen meiner Kleidung in mich gekrallt und die gelben Fingernägel drücken wie Bolzen. Wäre ich nackt, hätte ich nun fünf Stichwunden. So sind es Blutergüsse. Nicht meine ersten und ganz sicher nicht meine letzten.
„ Tylandora?“, wiederholt er leise, um sicher zu gehen, dass er den richtigen Namen verstanden hat. Sie besitzt Einfluss. Ihre Macht ist mein Schutz.
Ich nicke benommen. „Ja, Herr. Ich bin Tylandoras Eigentum.“
Er schubst mich mit einem Ruck von sich fort und ich
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