Das Herz des Wolfes (German Edition)
und gebaut wie ein Linebacker, und er bewegte sich wie ein Killer. Sein weißblondes Haar war militärisch kurz geschnitten, und die scharfen, unbarmherzigen Gesichtszüge waren wettergegerbt und schroff. In seinen durchdringenden, hellen Augen, die entweder blau oder grau sein mussten, fing sich das Licht, als er sie direkt ansah.
Als die Erkenntnis sie wie ein Hammer traf, verlor Alice den Boden unter den Füßen. Zu viele albtraumhafte Offenbarungen stellten sich gleichzeitig ein und rissen sie beinahe von den Beinen.
Er war das Monster. Er war zwar nicht mehr in seiner teilweisen Verwandlung gefangen, aber sie erkannte ihn trotzdem. Sie erkannte ihn.
Er hatte sie gefunden – wie sie befürchtet hatte. Er hatte ihre Witterung aufgenommen, und jetzt hatte er auch ihr Gesicht gesehen.
Und sie hatte seines gesehen. Vielleicht war er der Mann, der ihre Freunde umgebracht hatte. In jedem Fall war er das Furchteinflößendste, was sie je gesehen hatte.
Und er war ihr Gefährte.
Gütige Götter!
Sengend heißes Entsetzen überzog ihre Haut mit unsichtbaren Flammen. Sie hatte davon gehört, dass sich zwei Wyr auf den ersten Blick als Gefährten erkennen, hatte es aber für einen Mythos gehalten. Wyr-Paarungen gingen tiefer als Liebe, waren gefährlicher als Leidenschaft und hielten ein Leben lang. Das durfte einfach nicht wahr sein. Und das war es auch nicht, wenn sie in diesem Punkt ein Wörtchen mitzureden hatte.
Sie fuhr herum. Angst löschte ihr Denken aus und verlieh ihren Beinen Flügel.
Riehl stürzte los und rannte der Frau hinterher.
Sapperlot, konnte das Mädel laufen. Riehl war schnell, aber er war groß. Sie hingegen sauste blitzschnell zwischen Autos und Menschen hindurch, wie er es noch nie gesehen hatte. Mit ihrem leichten, schlanken Körper konnte sie scharfe Kurven nehmen und sich durch enge Lücken zwängen, und das in einem Tempo, bei dem er keine Chance hatte, mitzuhalten.
Dann geschah etwas Unglaubliches: Mitten im Lauf verschmolz sie von einer Sekunde auf die andere einfach so mit ihrer Umgebung. Nicht, dass sie unsichtbar geworden wäre, nicht ganz. Dafür hatte ihre Kleidung zu viel Substanz. Aber irgendwie war es schwieriger, ihr mit den Augen zu folgen.
Wow. Das war verdammt faszinierend.
Zum Glück hatte er mehr als nur seine Augen, um sie zu verfolgen. In seiner Wyr-Gestalt hätte er sie einholen können. Wenn sie irgendwo anders gewesen wären als ausgerechnet hier, mitten in der Stadt, hätte er es getan. Als Wolf war er schneller und konnte buchstäblich tagelang laufen. Aber wenn er zum Wolf wurde, konnte er nicht sprechen, solange er ihr nicht nahe genug war, um telepathisch mit ihr zu kommunizieren – und schon jetzt konnte er ihre Panik im Wind spüren. Außerdem, auch wenn New York City der Hauptsitz des Wyr-Reichs war, lebten hier auch Millionen anderer Leute. Er wollte nicht wissen, wie die auf den Anblick eines Hundert-Kilo-Wolfs reagieren würden, der mitten in der Stadt durch die Straße preschte.
Er holte tief Luft und brüllte: »Polizei! Bleiben Sie stehen!«
Natürlich blieb sie nicht stehen. Er wäre auch nicht stehen geblieben, nur weil irgendein fremder Idiot ihm etwas hinterherbrüllte. Verdammt, lief sie zur U-Bahn?
Und wie. Mit einem Satz, der so selbstmörderisch war, dass Riehl der Atem stockte, stürzte sie sich direkt vor die Räder eines herannahenden Lkws und rannte über die Straße. Riehl nahm an, dass der Fahrer sie überhaupt nicht gesehen hatte, denn er bremste nicht einmal ab.
Riehl blieb nichts anderes übrig, als stehen zu bleiben, was ihn einige entscheidende Sekunden kostete und ihr einen noch größeren Vorsprung verschaffte. Als der Lkw vorbeigefahren war, sauste er los, so schnell er konnte. Er raste über den Gehweg wie eine Wärmesuchrakete, Fußgänger stoben wie aufgescheuchte Hühner aus dem Weg. Er hörte das Geräusch seines Atems, hörte das scharfe Pfeifen des Winds in seinen Ohren. Am Eingang zur U-Bahn hielt er sich nicht mit den Treppen auf, sondern setzte zum Sprung an und nahm alle Stufen mit einem einzigen Satz. Aber es reichte nicht.
Einige Meter vor ihm flitzte die Frau über den Bahnsteig und sprang in einen Zug, als sich die Türen gerade schlossen. Es war wie in einem gottverdammten Fernsehfilm. Unglaublich. Riehl spie einen Fluch aus, als er vor den geschlossenen Türen zum Stehen kam.
Durch die Barriere hindurch starrten sie einander an. Sie keuchte, ihre Pupillen waren geweitet, ihr Gesicht kalkweiß bis auf
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