Das Hohe Haus
im Auswärtigen Amt, wendet sich an »die vielen Schülerinnen und Schüler«, die »uns heute zuhören oder diese Debatte nachlesen«. Ich schaue sie mir an, sie sitzen wie im Konzert. Dass sie zuhören, während sie zuhören, ist nicht erkennbar, dass sie die Debatte nachlesen, schwer vorstellbar. »Träum weiter, Staatsminister«, sagen ihre Gesichter, die nicht einmal aussehen, als ob sie sich gemeint fühlten – ein Grundproblem der parlamentarischen Rede. Sie erreicht ihre Adressaten nicht, denn sie kennt sie nicht.
Unterdessen verbeißt sich der Redner ins Jugendliche. Es müsse, sagt er, »einfach auch wieder cool werden, die Sprache des Nachbarn zu sprechen«. War es das je, und haben Erwachsene die Vokabel »cool« je anders verwendet als anbiederisch? Was aber wäre Völkerfreundschaft außerhalb solcher »Coolness«? Andreas Schockenhoff ( CDU / CSU ) hatte eben noch das innige deutsch-französische Verhältnis mit den Worten bezeichnet, man müsse »mit Pooling und Sharing von militärischen Fähigkeiten und Kapazitäten zu wirklich substantiellen Kooperationen kommen«. Fraglich, ob sich die Schüler von da an noch gemeint gefühlt hatten, fraglich sogar, ob sie die Freundschaft überhaupt erkennen können, die Staatsminister Michael Link jetzt in die Worte fasst: »Die deutsch-französische Freundschaft, sie ist keine Nostalgie und auch keine Rhetorik; sie ist eine hochaktuelle Strategie, um unsere Europäische Union Schritt für Schritt voranzubringen.«
Auf der Schulklassen-Tribüne senken sich ein paar Mundwinkel zum Flunsch. Eine Freundschaft in militärischen Begriffen, nützlich und hochgerüstet, ist allenfalls »strategische Partnerschaft« und Zweckgemeinschaft – nichts, was Freunde auf der Tribüne für »Freundschaft« oder für »cool« halten. Der Redner wünscht, von der jungen Generation gehört und sogar gelesen zu werden. Tut sie das, muss er hoffen, dass sie ihn nicht beim Wort nimmt.
Eher erkennt sie sich wohl, als Günter Gloser ( SPD ) auf eine Abiturprüfung des Jahres 1956 zu sprechen kommt. Ein deutscher Abiturient hatte eine Passage aus dem Roman »Jean-Christophe« von Romain Rolland zu übersetzen, in der es hieß: »Nous avons besoin de vous et vous avez besoin de nous.« Und der Schüler übersetzte: »Wir haben genug von euch, und ihr habt genug von uns.« Der Saal lacht, die Tribünen lachen und widersprechen der Übersetzung, nicht dem Gran ehrlicher Abwehr in ihr.
Doch während Wolfgang Gehrcke ( DIE LINKE ) gleich noch so verschrobene Namen wie Erich Maria Remarque, Ho Chi Minh und Karl Marx zitiert, um dann in eigenen Worten zu schmettern: »Ich möchte, dass von unserem Parlament eine deutliche Botschaft ausgeht: ›Nie wieder!‹«, hält sich Oliver Luksic ( FDP ) lieber an de Gaulle, der »richtig erkannt hat«, wir »brauchen gerade die jungen Generationen, um eine stabile Zukunft zu schaffen«. Der Satz ist auch ohne de Gaulle ein Gemeinplatz und stimmt trotzdem nicht. Dass man eine »stabile Zukunft« schaffen könne, widerspricht jeder Zukunft, die je war, und dass man die Jugendlichen dazu brauche, widerspricht offenkundig der Jugendarbeitslosigkeit, die in manchen europäischen Nachbarländern gerade bei über fünfzig Prozent liegt. Plötzlich fällt mir der Alte in Afghanistan ein, der zu mir sagte: »Gut, dass die Zukunft noch weit weg ist. Nicht schon in zehn Jahren. Ich will die Zukunft ja nicht für mich. Ich will sie für andere.«
Nähme man den Parlamentsredner aber ernst, dann klänge es wie Hohn, wenn er nun anschließt: »In diesen Generationen muss auch der europäische Patriotismusgedanke eine stärkere Rolle spielen; denn Europa hat seinen Preis.« Die Jugendlichen auf den Rängen verstehen: Sie sollen Gefühle investieren. Aber den Preis zahlen gerade jene, die, selbst schuldlos, von Europa zur Erwerbslosigkeit verdonnert wurden. Eine Art Europatriotismus wird ihnen abverlangt als die Währung, in der man dieses Europa bezahlt, denn gratis ist unter Ländern und Leistungsträgern nicht einmal die Freundschaft.
Die Jugend darf sich also in dieser ersten Debatte des Jahres adressiert und umworben fühlen, auch wenn sich die Köpfe der Redner zu den Tribünen nicht heben und ihre Jugendsprache allenfalls kokett wirkt. Es könnte ihnen passieren, dass der Subtext als der eigentliche Text verstanden wird und bei der beschworenen Freundschaft der ökonomische Nutzen durchscheint unter dem Pathos.
Das Publikum auf den Tribünen wird
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