Das Hohe Haus
Reichstags auf der einen, den skandinavisch leuchtenden Farben der Türen, Rahmen und Paneele auf der anderen Seite. Man passiert die steinernen Friese und Skulpturen im Gewölbe, lauter Relikte aus der Kaiserzeit mit musealer Anmutung. Die farbenfrohen Akzente bei Rahmen, Flächen und Türen dagegen verdankt der Bau dem dänischen Designer Per Arnoldi, der kontrastierend Blau und Rot, viel Orange, Grün und Ocker einsetzte. Frische Farben ohne Patina sind das, überraschend unfeierlich, ja profan.
Schon als Paul Wallot 1882 den Wettbewerb um das Reichstagsgebäude gewann, so schreibt der amerikanische Historiker Michael S. Cullen, stand das künstlerische Ausstattungsprogramm des Hauses und schloss Skulpturen, Wand- und Deckenbilder ein. Die renommiertesten deutschen Künstler sollten beitragen, in der Nordeingangshalle war außerdem eine Galerie mit Standbildern deutscher Geistesgrößen geplant. Da aber am Tag der Abstimmung zu viele Katholiken in der Kommission saßen, wurde eine Luther-Skulptur aus dem Programm herausverhandelt. Aus Protest ließ der Architekt die Reihe dann ganz fallen.
Das heutige Kunstkonzept ist mutiger: Im Eingangsbereich etwa finden sich neben den großen Malereien von Gerhard Richter und Georg Baselitz auch Sigmar Polkes ironische Arbeiten zur deutschen Parlamentsgeschichte – ein mit dem Spazierstock drohender Adenauer, eine spöttische Visualisierung des Hammelsprungs. Im ersten Obergeschoss liegen der Andachtsraum, der Plenarsaal, der Clubraum mit einer Bar; im zweiten Obergeschoss die Büros und Empfangsräume für Bundestagspräsidenten und Ältestenrat, dazu der Große Sitzungssaal, der Bundesratssaal und die Konferenzsäle; im dritten Obergeschoss die Fraktionssäle.
Mein Arbeitsplatz in diesem Jahr wird im zweiten Stock liegen, auf der Besucherebene. Hier passiert man die Sicherheitsbeamten und Garderobieren, läuft auf die große Glasscheibe zu, hinter der man den Bundesadler und die Rückenlehnen der obersten Tribünenplätze erkennt, und hört, wie im Entree-Bereich vor dem parlamentarischen Amphitheater die Saaldiener die Besuchergruppen auf den Verhaltenskodex einschwören: keine Fotos, kein unziemliches Verhalten, keine Zwischenrufe und kein Applaus, kein Nickerchen, keine Nahrungsaufnahme, auch keine Kaugummis, keine Handys. Dann öffnen sich die Türen, und man tritt ein.
Der verglaste Plenarsaal unter der Kuppel ist auf einer Fläche von 1200 Quadratmetern elliptisch angeordnet. Von den Tribünen blicken die Zuschauer entweder abwärts in den Saal, auf das Rednerpult, die Regierungsbank, den Bundestagspräsidenten, die Bundesratsbank, den Stenographentisch, das Plenum oder aufwärts in die Filigranstruktur der Kuppel, in der die Touristen auf- und abwärts krabbeln, während manchmal eine Bahn Sonnenlicht direkt in das Zwielicht des Plenarsaals fällt. Und Zwielicht ist immer.
Die Kuppel von unten: dreitausend Quadratmeter verbautes Glas, verteilt auf 408 Scheiben. Keine repräsentative Monstrosität sollte dies sein, sondern eine funktionale Einheit, die Licht und Luft in das Gebäude leitet. Zwei Wochen beansprucht die komplette Reinigung von innen und außen, und das Personal, das diese Arbeit leistet, schaut dabei denen auf die Köpfe, die tief unter ihnen um die Lebensbedingungen aller streiten. Dabei ist es nicht ohne Ironie, dass die Leistungen am Deutschen Bundestag zu einem Teil von Schwarzarbeitern erbracht wurden, dürftig bezahlt: Vier Mark pro Tag war auch damals nahe am Mindestlohn. Streiks und Arbeitsniederlegungen verzögerten denn auch die Fertigstellung, und da die Arbeiter sozialdemokratisch organisiert waren, wandten sie sich vor allem gegen Arbeitsvermittler und deren Provisionen.
Zum Funktionstest des Plenarsaals ließ man im Februar 1999 1100 Bundeswehrsoldaten Platz nehmen und stellte fest: Auf der Regierungsbank war die Akustik dürftig, anders gesagt: Die Regierung hörte schlecht. Am 7 . September 1999 schließlich fand im Reichstag – den »Bundestag« zu nennen vielen besser gefallen hätte – die erste Plenarsitzung statt.
Ich nähere mich dem Plenum von der obersten Stelle. Auf dem Grund des Trichters, zu dem sich die Tribünen senken, steht das Rednerpult. Also hört man, bevor man durch den Kranz der obersten Sitzreihen getreten ist, das Rauschen des Stimmgewirrs, das Schneiden der einzelnen Stimme am Pult: manchmal träge, das verstärkte Organ eines Monologikers, manchmal frisch und kämpferisch wie vor dem Chor der
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