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Das irische Erbe

Das irische Erbe

Titel: Das irische Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Clemens
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konnte.
    Sie trank noch ein Glas und wurde schlagartig müde. Benommen erhob sie sich und brachte das Glas in die Küche. Wieder klingelte es. Viktor. Was fiel ihm eigentlich ein? Wütend ging sie zum Telefon und riss den Hörer von der Gabel.
    »Lass mich bloß in Ruhe, du arrogantes Arschloch. Ich will dich nie mehr sehen.«
    »Claire?«, eine zaghafte Stimme. Nicht Viktors. »Bist du das?«
    Tim. Ihr kleiner Bruder Tim. Sie war sofort wieder nüchtern. Und ihr Herz begann einen Trommelwirbel.
    »Tim«, sagte sie beunruhigt. »Entschuldige, ich dachte, es sei Viktor.«
    »Viktor? Und warum nennst du ihn ein Arschloch?«
    Sie lehnte sich an die Wand. Einen Moment wurde ihr schwindelig. Sicher der Alkohol.
    »Mein Gott Tim, ich hätte nicht gedacht, dass du so spät noch anrufst. Weißt du denn nicht, dass nächtliche Telefonate nur Notfällen vorbehalten sind?«
    Schweigen.
    »Tim? Was ist los?«
    Er sagte mit kläglicher Stimme: »Aber es ist ein Notfall.«
    War ihm das Geld ausgegangen? Oder war er krank? Ihr brach der Schweiß aus.
    »Was ist passiert?«, sie versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken.
    »Es ist Nina. Sie ist fort.«
    Nina also. Erleichtert atmete sie aus.

    Nina war seit der gemeinsamen Zeit im Sandkasten seine treue Gefährtin. Die beiden waren schon als Kinder unzertrennlich. Sie spielten mit Tims Autobahn und Legosteinen und mit Ninas heiß geliebter Barbiepuppe. Dann durfte Tim reiten gehen und Nina ging wie selbstverständlich mit und sah ihm zu. Die Pferde schweißten die beiden noch mehr zusammen. Dennoch dachte Claire, dass spätestens in der Pubertät Schluss sein würde. Weil jeder für sich andere Interessen entwickeln und sich natürlich verlieben würde. Aber die Pubertät kam und die beiden unternahmen weiter alles gemeinsam, fuhren täglich in den Stall und kümmerten sich um die Pferde. Sie lernten für die Schule, gingen ins Kino und liehen sich Bücher aus. Pferdebücher natürlich. Irgendwann wurde aus ihnen ein Liebespaar.
    Vor zwei Jahren waren sie nach Irland gefahren und hatten dort einen Hof mit Pferden entdeckt, der zum Verkauf stand. Tim kaufte den Hof und ging mit Nina nach Irland.
    Und Nina war nun also gegangen.
    Sie hatte immer darauf gewartet, dass die beiden eines Tages merken würden, dass sie erwachsen waren. Vielleicht war das jetzt passiert. Zumindest bei Nina.
    »Oh, Tim, das tut mir leid«, sagte sie. Dann fiel ihr etwas ein. »Bist du sicher, dass nichts passiert ist? Dass niemand sie entführt hat oder so?« Alberne Vorstellung. Wer würde Nina schon entführen?
    »Nein, sie ist freiwillig gegangen. Claire, ich weiß jetzt überhaupt nichts mehr.«
    Seine Stimme rührte sie.
    »Wie geht es dir denn jetzt?«, fragte sie und überlegte, ob sie so kurzfristig Urlaub bekommen würde.
    »Nicht besonders gut.«
    Typisch Tim, er untertrieb immer. Wenn er sagte, es gehe ihm »nicht so gut«, ging es ihm in Wirklichkeit sehr schlecht.
    »Ich werde zu dir kommen«, sagte sie und fragte sich, wie sie ihren kurzfristigen Urlaub begründen sollte.
    »Ja, bitte komm.«
    Sie hörte seiner Stimme die Erleichterung an.
    »Okay, ich spreche morgen mit meinem Chef und rufe dich dann an. Tim, wir kriegen das schon wieder hin. Alles wird gut.«
    Als sie auflegte, brummte ihr der Schädel. Natürlich würde sie zu ihm fliegen. Er brauchte sie jetzt wirklich. Tim war in ihren Augen immer noch der kleine Bruder. Was mochte nur in Nina gefahren sein? Ob sie sich in einen anderen Mann verliebt hatte?
    Irgendwie konnte sie sich das nur schwer vorstellen. Und was war der Trennung vorausgegangen? Ein Streit? Ich bin ja bald bei ihm, sagte sie sich. Dann erfahre ich alles.
    Dann fiel ihr Viktor ein, den sie vor ihrer Abreise nicht mehr sehen wollte. Er würde nicht wissen, was passiert war und wo sie steckte. Geschah ihm ganz recht. Dann konnte er sich einmal Gedanken machen.
    Sie ging ins Badezimmer, um sich die Zähne zu putzen, und starrte ihr weißes Gesicht an. Die Creme war getrocknet, sie sah aus wie ein Gespenst. Sie rieb sich das Gesicht mit einem Waschlappen ab, bis ihre Haut ganz rot war. Wieder erfasste Schwindel sie. Wie konnte sie nur so viel trinken? Aber normalerweise vertrug sie einiges an Alkohol.
    Müde tappte sie ins Schlafzimmer und setzte sich auf den Bettrand. Sie überlegte, ob sie ihre Eltern benachrichtigen sollte, gab den Gedanken aber sofort wieder auf. Ihre Eltern interessierten sich nicht für Nina, sie würden ihre Sorgen nicht verstehen. Und

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