Die Magier 02. Krieger der Dämmerung - Le Serment orphelin (Le Secret de Ji, Bd. 2)
G elobt sei Eurydis, möge ihre Lehre Euch erhellen. Im Morgengrauen meines ersten Tages auf der Welt bekam ich vor den Göttern einen Namen: Lana von Lioner aus Ith, Tochter der Cerille und des Lioner.
Welch großer Name für etwas so Kleines, sagte Maz Rôl immer, wenn er mich necken wollte. Trotzdem vererbte er mir seinen Titel und machte meinen Namen damit sogar noch länger.
Zum Glück nennen mich die meisten nur Maz Lana. Wenn Gläubige den von Menschen ersonnenen Titel aussprechen, schwingt in ihrer Stimme eine Achtung und Bewunderung mit, deren ich nicht würdig bin. Nur die Götter verdienen eine solche Ehrerbietung.
Doch nicht das ist es, was mich beunruhigt. Diese Frage kann ich immer noch mit meinen Schülern erörtern, sollte ich jemals wieder unterrichten.
Ich bin eine der Nachfahren Maz Achems von Algonde aus Ith, der in den Jahren 760 bis 771 unseres Kalenders dem Großen Tempel von Ith als Botschafter in Goran diente. Obwohl das ein angesehenes Amt ist, bei dem man gute Aussichten auf den Titel eines Emaz hat, wird in meiner Familie fast nie über ihn gesprochen.
Wenn meine Eltern von anderen Vorfahren erzählen, sind sie stets voller Lob, Stolz und Hochachtung. In unserer Familie gibt es mehrere Maz und selbst einige Emaz, die die Geschichte der Heiligen Stadt prägten. Auch über grausame Heerführer, Krieger und Eroberer aus einer ebenso fernen wie unrühmlichen Vergangenheit wurde immer mit Respekt gesprochen. Der von ihnen eingeschlagene Weg, so falsch er auch gewesen sein mag, entsprach den Sitten ihrer Zeit.
Nur mein Urgroßvater Maz Achem gilt nicht als wichtiges Glied in der Kette, die die ruhmreichen Ahnen und die nachfolgenden Generationen aneinanderreiht. Am liebsten hätten meine Eltern ihn einfach aus ihr entfernt. Nie erwähnten sie sein Leben und seine Taten, kein Wort von der Spur, die er in der Welt und im universellen Streben nach Moral hinterließ.
Als Kind fand ich daran nichts Ungewöhnliches. Doch als ich älter wurde, weckte das Schweigen meine Neugier, und eines Tages begann ich, meinen Eltern Fragen zu stellen.
Obwohl ich noch jung war, spürte ich, dass mein Nachfragen sie in Verlegenheit brachte, doch das stachelte mein Interesse nur noch an. Ich war es gewohnt, auf alles eine Antwort zu erhalten. In meiner Familie gab es keine Tabuthemen, ein Grundsatz, den ich stets zu schätzen wusste und den ich noch heute bei meinen Schülern anwende.
Nach einigem Zögern antwortete mein Vater. Er wählte seine Worte mit Bedacht, damit sie nicht respektlos und verächtlich klangen, und doch taten sie genau das. Er erzählte mir folgende Geschichte: Obgleich Maz Achem einen Großteil seines Lebens damit zugebracht hatte, die Moral der Göttin zu studieren und zu verkünden, machte er im hohen Alter eine unerwartete Veränderung durch und wurde ein Abtrünniger, der Schande über sich und seine Familie brachte.
Als Erstes gab er seinen Posten als Botschafter in Goran auf und tat seine Entscheidung weder dem Tempel kund, noch erklärte er sie.
Nach seiner Rückkehr sorgte er in mehreren Versammlungen der Emaz für Aufruhr und ging sogar so weit, die Hohepriester in ihren Privatgemächern zu belästigen. Es hätte nicht mehr gebraucht, um ihn in Verruf zu bringen, aber das, was ihn zu diesen Taten trieb, war noch viel schlimmer. Es war ein Frevel.
Er beharrte darauf, dass man ihn anhörte. Doch die Emaz hatten bereits genug vernommen.
Achem forderte nicht weniger, als die Grundfesten der eurydischen Moral zu überdenken. Er gab zu, kein überzeugendes Argument nennen zu können, und sollte er Gründe für seine Forderung gehabt haben, so sind sie nicht überliefert.
Verständlicherweise widersetzten sich die Emaz seinem Wunsch und rieten ihm, sich wieder der Lehre des Tempels zu unterwerfen. Achem gab jedoch nicht auf, sondern begann seine Thesen, die die Weisesten der Weisen als Verstoß gegen die Moral werteten, öffentlich vorzutragen.
Daraufhin waren die Emaz gezwungen, ihn zum Ketzer zu erklären und ihm seinen Maz abzuerkennen, was in der Geschichte Iths erst ganze vier Mal vorgekommen war. Diese Strafen hatten die erwünschte Wirkung: Achem gab seinen unheilvollen Kampf auf, verließ das Land und reiste nach Mestebien. Dort starb er einige Jahre später, ohne einen weiteren Versuch unternommen zu haben, die eurydische Lehre anzugreifen.
Mit diesen Worten endete mein Vater. Er fragte mich, ob ich aus der Geschichte etwas gelernt habe, ganz so, als hätte er mir ein
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