Das Ist Mein Blut
letzten Woche hin. Und natürlich befand sich Martin Blumenthals Kelch noch immer als Beweisstück bei der Weißenburger Polizei. Wer wusste, wann die damit fertig sein würden? Und augenblicklich waren die Eigentumsverhältnisse an dem Stück ohnehin nicht klar. Der Pfarrer blickte nachdenklich auf den gedeckten Altartisch. Das ist mein Blut des Neuen Testaments, für euch vergossen zur Vergebung der Sünden. Das ist Mein Blut … Er war sich nicht sicher, ob er den Kelch wiederhaben wollte, selbst wenn er ihn zurückbekäme. Er war durch so viele Hände und Unglück in seine Kirche geraten: von dem jüdischen Goldschmied, der aus seiner Heimat vertrieben worden war, über den Arzt Friedrich Weiher, der sich ihm gegenüber als Freund erwiesen, aber die junge Margarete Hofmann im Stich gelassen hatte. Dann durch Heinrich Weihers gierige Hände, der ihn an das Antiquitätengeschäft der Hahns verscherbelt hatte, bis er zuletzt in die Hände des ermordeten Kronauers gefallen war. Allerdings hatte der Kelch in diesem Mordfall doch auch eine ganz ungeahnte Funktion gehabt. Der Mord an Friedrich Weiher wäre vielleicht für immer unentdeckt und ungesühnt geblieben, hätte Bernd Kahlert dem Journalisten nicht unwissentlich den einen Gegenstand in die Hand gegeben, der die Polizei auf den ungeklärten Todesfall des Arztes gebracht hatte. Zudem war Heinrich Weiher endgültig von dem lastenden Verdacht befreit worden, seinen Vater ermordet zu haben. Und nicht nur das: Das Wiederauftauchen von Martin Blumenthals Kelch hatte den alten Mann tatsächlich noch in anderer Hinsicht in Bewegung gebracht. Pfarrer Römer hatte der Polizei nicht erzählt, was Heinrich Weiher ihm am Ende ihres Gesprächs am Vortag noch anvertraut hatte – den Grund für seine unterbrochene Reise: »Sie wissen von dem Brief – von Jakob Blumenthal …«, hatte er ganz am Schluss zögernd gesagt. »Ich habe den Leuten von der Polizei gesagt, dass ich ihn nie beantwortet habe, aber das stimmt nicht. Nachdem Elisabeth ihn gefunden hatte und so entsetzt gewesen war, habe ich versucht, mit Jakob Blumenthal Kontakt aufzunehmen. Er lebt in der Schweiz. Er hat gesagt, er könnte es nicht über sich bringen, jemals wieder nach Deutschland zu kommen, aber nachdem ich mit ihm am Telefon gesprochen habe, hatte er mir gesagt, er würde mich sehen, wenn ich in die Schweiz käme. Gestern wollte ich hinfahren.«
»Haben Sie ihm erzählt, dass Sie Martin Blumenthals Werkstücke verkauft haben?«, hatte Römer gefragt.
Weiher hatte bedrückt gewirkt. »Das konnte ich doch nicht am Telefon erzählen. Ich weiß auch nach allem, was passiert ist, gar nicht mehr, ob ich wirklich fahren soll.« Und auch die Sache mit seiner Tochter hatte ihm auf der Seele gelegen. Wie sollten sie nach den Ereignissen und nach all dem Misstrauen weitermachen?
»Sie können es nur versuchen«, hatte er geantwortet und seine Worte selbst als unzulänglich empfunden. Doch als Herwig Römer nun auf die Kanzel stieg, sah er unter den Anwesenden den hageren, weißhaarigen Mann, der auf einer der hinteren Bänke saß und im Gesangbuch blätterte. Sollte Martin Blumenthals Kelch eines Tages wieder in die Buchfelder Kirche zurückkehren, überlegte der Pfarrer, sollte er ihn vielleicht doch wieder annehmen – als Erinnerung daran, dass er mitten in einem Fall voller Enttäuschungen und sinnloser Gewalt noch etwas Gutes bewirkt hatte. Über die Köpfe der Dorfbewohner hinweg nickte Römer dem alten Weiher zu und beugte sich dann über seine unfertige Pfingstpredigt.
Die Predigt wurde hinterher von einigen Gemeindemitgliedern sehr gelobt und Pfarrer Römer und die Kinder gleich bei zwei Dorffamilien zum Mittagessen eingeladen. Er war sehr dankbar für die Rückmeldung, umso mehr, als er sich nicht ganz sicher war, was er eigentlich gesagt hatte. Vielleicht war ihm wirklich der Heilige Geist zu Hilfe gekommen. Vielleicht hatte er sich aber auch bloß mit Plattitüden aus der Affäre gezogen, wie Eva gesagt hatte. Vielleicht traf ja beides zu, überlegte er amüsiert. Wer konnte schon sagen, dass der Heilige Geist sich nicht auch gelegentlich in Gemeinplätzen äußerte?
»Na, wie fandet ihr zwei die Predigt?«, fragte er seine Kinder, als sie wieder zum Pfarrhaus hinübergingen, um sich fürs Mittagessen umzuziehen.
Katharina zog die Stirn in nachdenkliche Falten, aber Römer entging nicht der rasche Blick, den sie mit ihrem Bruder wechselte. Hatten die zwei nicht nach der Predigt die blonden
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