Das Jahr der Kraniche - Roman
Handgelenk, den Unterarm hinauf, mit einer kleinen Rast in der Ellenbogenbeuge, über den Oberarm hin zu ihrer Schulter.
»Ich dachte nur, vielleicht geht es dir wie mir.«
»Wie geht es dir denn?«
Sie hatte ihren Arm weggezogen, ein T-Shirt über den Kopf gestreift und sich in ihren alten Sessel gedrückt. Sie musste einen klaren Kopf behalten. Oder besser, sie musste endlich wieder einen klaren Kopf bekommen. Nach dieser Woche, die sie im siebten Himmel verbracht hatte.
»Du weißt, wie es mir geht.«
Ihr Hirn hatte gerattert. Gab es so etwas also wirklich? Liebe auf den ersten Blick? Die Sicherheit, den einzig Richtigen getroffen zu haben?
Das ist doch irre. Absolut verrückt. Ich kann mich doch nicht auf einen Typen einlassen, den ich überhaupt nicht kenne.
Sollte sie wirklich all ihre Vorsätze über Bord werfen und ihr gesamtes Leben dazu und mit diesem Mann mitgehen? Wenn eine ihrer Freundinnen ihr gesagt hätte, dass sie so etwas vorhätte, hätte sie ihr den Kopf zurechtgerückt. Hätte verlangt, dass sie über ihre aus dem Ruder laufenden Hormone hinwegsah, dass sie die rosarote Brille absetzte und ihren Verstand einschaltete. So was kann doch niemals gut gehen, hätte sie gesagt. Du weißt doch nichts über diesen Mann. Er könnte ein Heiratsschwindler sein. Oder ein Massenmörder. Oder einfach nur der Falsche. Lass dir Zeit, hätte sie gesagt. Lern ihn erst mal richtig kennen. Vielleicht hat er tausend unangenehme Eigenschaften. Bohrt in der Nase oder wäscht sich nur einmal in der Woche die Füße. Vielleicht entpuppt er sich als häuslicher Tyrann, der dich als bessere Putze haben will. Oder er hört einfach nur die falsche Musik und mag Filme, die du nicht ausstehen kannst. Du kennst ja noch nicht mal seine Freunde, hast keine Ahnung, ob du mit denen überhaupt zurechtkommen wirst. Also, denk nach, würde sie sagen. Entscheidungen, die man Hals über Kopf trifft, sind im Allgemeinen falsch.
Oder sie sind absolut richtig. Was soll daran falsch sein, wenn man sich einfach sicher ist?
» Ich liebe dich, Laura. Ich liebe deine Augen und deinen Mund. Ich liebe, wie du gehst und wie du lachst. Ich liebe jede Faser deines Körpers. Ich liebe es, dir nahe zu sein und will das für den Rest meines Lebens.«
Vielleicht war das ja alles nur ein Traum. Vielleicht würde sie jeden Moment aufwachen und feststellen, dass sie verschlafen hatte. Sie würde in ihre Klamotten springen und in die Klinik rasen. Und ihr Leben würde weitergehen wie bisher.
»Wenn du willst, lasse ich dich ein paar Tage allein, damit du nachdenken kannst.«
Nein. Du sollst nicht weggehen. Ich muss nicht nachdenken.
» Wieso bist du dir so sicher, dass es gut gehen wird?«
»Was denkst du, wie oft es im Leben vorkommt, dass zwei Menschen sich begegnen, und alles fühlt sich richtig an? Glaubst du nicht, dass man, wenn so etwas passiert, alles tun sollte, um es sich zu erhalten?«
Er hatte sich vor sie hingekniet, hatte ihre Arme, die sie krampfhaft um sich geschlungen hatte, gelöst. Ihre Hand hatte er in die seine genommen und Laura nur angesehen. Und das, was sie mühsam als Widerstand aufzubauen versucht hatte, war in sich zusammengeknickt. Einfach weggeschmolzen. Dieser Mann legte ihr sein Herz zu Füßen. Er liebte sie, und sie liebte ihn. Nach sieben Tagen konnte sie es sich nicht mehr vorstellen, ohne ihn zu leben. Sie wollte in seinen Armen einschlafen und aufwachen, wollte seine Hand an ihrer Hüfte spüren, wenn sie durch die Straßen gingen. Sie wollte bei ihm sein, ihr Leben mit ihm teilen, jede Stunde, Tag für Tag.
»Ja«.
Mehr gab es nicht zu sagen. Einfach nur: »Ja, ich will dich heiraten.« Das Schicksal oder ein guter Geist oder vielleicht auch nur der Zufall, an den sie nicht glaubte, irgendwas oder irgendwer hatte diesen Mann wie einen Meteor in ihr Leben krachen lassen. Nichts war mehr, wie es vor ihm gewesen war. Und nichts sollte je wieder so sein wie ohne ihn.
Die Sonne verdunkelte sich. Wind zerrte an Lauras Haaren. Ein Rauschen dröhnte in ihren Ohren. Grelle Schreie ließen die Luft vibrieren und stülpten sich über die Erinnerungen, in die Laura gerade noch so beglückt versunken gewesen war. Von einer Sekunde zur anderen verwandelte sich die eben noch frühlingshelle Stimmung in Düsternis. Laura fröstelte und zog die Schultern zusammen. Sie wollte sich noch näher an Jan heranschmiegen, als würde sie bei ihm unwillkürlich Schutz vor einer Bedrohung suchen. Da sah sie es: Ein dunkler
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