Das Jahr der Kraniche - Roman
Wild entschlossen, das Glück, das so unvermutet über sie gekommen war, mit beiden Händen festzuhalten. Und wenn es eben sein musste, dann auch in dieser Uckermark. Denn das war schnell klar gewesen: Jan wollte, dass sie mit ihm in seinem Haus lebte, in der Gegend, in der er aufgewachsen war. So sehr Karin ihrer Tochter ihr Glück gönnte– es hatte ihr das Herz gebrochen, als sie mit ansehen musste, wie traurig Laura nach der Trennung von Thomas gewesen war– wünschte sie sich doch, dass Laura nicht alle Vernunft über Bord warf. Wieso nicht erst mal eine Fernbeziehung?, hatte sie gefragt. Wieso sich nicht noch Zeit lassen, um einander besser kennenzulernen? Wieso den Job kündigen und das Leben in München sofort aufgeben?
»Du könntest erst mal Urlaub nehmen und ein paar Wochen mit Jan in seinem Haus verbringen. Sehen, ob ihr zusammen auch alltagstauglich seid. Prüfen, ob deine Verliebtheit auch dem täglichen Leben an seiner Seite standhält.«
Aber Karin hätte genauso gut schweigen können. Laura hatte ihre Argumente mit einem Strahlen weggewischt. Mit der trotzigen Sicherheit, dass es vor Jan nie jemanden gegeben hatte, den sie so liebte. Genauso wenig, wie es nach ihm jemanden geben würde. Wobei es natürlich kein »nach ihm« geben konnte, denn Laura war fest entschlossen, mit Jan für den Rest ihres Lebens zusammenzubleiben. Und glücklich zu sein.
»Findest du es schrecklich, dass ich keine Ahnung von Kranichen habe?«
»Entsetzlich finde ich das. Ich denke, ich werde morgen zum Scheidungsrichter gehen.«
Jan lächelte, als er den Motor wieder anließ. Diese Frau, die eigentlich fast noch ein Mädchen war, hatte sein Herz vom ersten Moment an berührt.
Es war ihm, als hätte er nur auf sie gewartet. Nur einen kurzen Moment lang hatte er überlegt, ob sie nicht zu jung war. Immerhin war er fast zwanzig Jahre älter als sie. Konnte er so einer jungen Frau, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatte, das bieten, was sie sich wünschte, was ihr zustand? Aber da war dieses Gefühl gewesen, diese Gewissheit, dass sie die einzige Chance für ihn war, dass es ihnen bestimmt war, einander zu begegnen.
Er hatte sich in den letzten Jahren auf keine Frau mehr eingelassen, obwohl es Gelegenheiten genug gegeben hätte. Der große, ein wenig schlaksige Mann mit den unergründlichen Augen und dem zurückhaltenden Charme hatte nicht wenige Frauen gereizt, mit denen er zu tun hatte. Er gehörte zu dieser Spezies Männer, wie Frauen sie erobern wollten. Vielleicht, weil er zwar aufmerksam und zuvorkommend, aber in keiner Weise aktiv interessiert war. Möglicherweise auch, weil er das Gefühl vermittelte, ein wenig verloren in der Welt zu sein. Nicht, was seinen Beruf betraf. Er war ein anerkannter Architekt, der seit Langem viel beachtete Gebäude entwarf und der in der ganzen Welt gefragt war. Aber wenn er nach den Besprechungen mit Bauherren und Geldgebern alle abendlichen Einladungen freundlich, aber bestimmt ablehnte und sich lieber in sein Hotelzimmer zurückzog, als einen alkoholseligen Abend in angesagten Luxusrestaurants und Bars zu verbringen, fragte sich manch eine der Frauen, die er tagsüber mit seiner Kreativität fasziniert hatte, ob nicht vielleicht gerade sie es sein sollte, die Jan Plathe aus seiner Einsamkeit befreien musste. Sie fühlten sich berufen, die Wehmut, die in seinen schönen Augen lag, zu vertreiben. Die Melancholie, die ihn in ihren Fängen zu haben schien, rührte sie und fachte ihren Ehrgeiz an, diesen Mann zu retten und in das »wahre« Leben zurückzuführen.
Es waren schöne Frauen gewesen, attraktive, interessante, kluge Frauen, die sich um Jan bemüht hatten. Reizvolle Frauen, die normalerweise keine Schwierigkeiten hatten, einen Mann in ihr Bett oder in ihr Leben zu bekommen. Und ein- oder zweimal hatte Jan sich auch auf eine eingelassen. Doch zu mehr als zu einer flüchtigen, unverbindlichen Bettgeschichte, die spätestens dann endete, wenn Jan den Ort seines Auftrags verlassen musste, war es nie gekommen. Jan hatte das nicht bedauert. Er war sich sicher gewesen, dass es keine Frau auf der Welt gab, die den Erinnerungen, die er mit sich trug wie einen schweren Rucksack, standhalten könnte. Längst war die Last seiner Vergangenheit zu einem selbstverständlichen Teil seines Lebens geworden. Er hatte sich an sie gewöhnt, hatte sie akzeptiert als etwas, das zu ihm gehörte, das er bis ans Ende seiner Tage mit sich herumtragen würde. Er hatte aufgehört, über das, was
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