Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahr der stillen Sonne

Das Jahr der stillen Sonne

Titel: Das Jahr der stillen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilson Tucker
Vom Netzwerk:
ließ die Tür offen, schob den Karren davor und holte die ersten Kartons mit Lebensmitteln aus dem unterirdischen Lagerraum. Sein Gewehr blieb neben dem Karren zurück, und Chaney dachte gar nicht mehr daran. Er schleppte immer neue Kartons herab und stapelte sie auf dem Karren, bis seine Arme vom Tragen und seine Beine vom Treppensteigen schmerzten. Aber dann merkte er, daß er Medikamente und Streichhölzer vergessen hatte, und mußte noch einmal in den Lagerraum. Diesmal brachte er auch einige Werkzeuge mit, an die er vorher nicht gedacht hatte.
    Chaney hatte seine Kräfte überschätzt: Der Karren war schließlich so überladen, daß er ihn kaum schieben konnte; deshalb mußte er einige der schwersten Kartons zurücklassen.
    Er schob den Karren vor sich her, als er den Parkplatz verließ.
    Er brauchte über drei Stunden und mußte seine ganze Entschlossenheit aufwenden, um die Nordwestecke des Zauns zum zweitenmal an diesem Tag zu erreichen. Der Karren war verhältnismäßig beweglich, solange Chaney die noch vorhandenen Straßenstücke ausnutzen konnte, aber als die Straße dann zu Ende war, mußte Chaney ihn Meter für Meter durchs hohe Gras zerren. Er konnte sich nicht daran erinnern, im Lagerraum Macheten gesehen zu haben – aber er wünschte sich ein Dutzend Träger mit Buschmessern, die ihm einen Weg durch diese Wildnis bahnten. Die Last überstieg fast seine Kräfte.
    Als er den Zaun endlich erreichte, ließ er sich ins Gras fallen und rang nach Atem. Die Sonne hatte den Zenit inzwischen längst überschritten.
    Chaney machte sich mit einer Brechstange daran, ein Loch im Zaun zu öffnen. Er entschied sich für die Bresche, in der das ausgebrannte Wrack stand; dort war der Stacheldraht nicht so dicht verflochten wie an der anderen Stelle. Chaney riß den Stacheldraht ab, holte ihn unter dem Lastwagen hervor und benutzte dann die Brechstange dazu, das Drahtgeflecht des ursprünglichen Zauns aus seiner Verankerung zu reißen. Als er fertig war, blutete er aus unzähligen Kratzern und Schnitten – aber er hatte eine so breite Öffnung geschaffen, daß er seinen Karren durch den Zaun schieben konnte.
    Bergab ging der schwere Karren mit ihm durch.
    Chaney wurde mitgerissen, bemühte sich verzweifelt, die wilde Jagd zu bremsen, und fluchte dabei atemlos. Aber der Karren ließ sich nicht mehr aufhalten, sondern schoß bergab durchs hohe Gras, das jetzt kein Hindernis mehr war, kippte schließlich am Fuß des Abhangs um und verstreute seine Ladung in weitem Umkreis. Chaney verfluchte das störrische Fahrzeug von ganzem Herzen, aber der Karren blieb einfach nur liegen.
    Er richtete den Wagen mühsam auf, belud ihn wieder und zog ihn hinter sich her in Richtung Bahndamm.
    Der Stock, den der Mann verloren hatte, diente ihm als Wegweiser.
    Chaneys kleiner Schatz blieb deutlich sichtbar auf dem Bahndamm zurück, wo ihn sich die erschreckte Familie oder irgendein zufällig vorbeikommender Wanderer holen konnte. Er legte die Streichhölzer und Medikamente auf den größten Karton und deckte sie mit seiner Parka zu, um sie vor Regen zu schütze. Chaney hielt sich nicht lange damit auf, die nähere Umgebung des Bahndamms nach Menschen abzusuchen – er wußte nur allzugut, daß seine lauten Flüche jeden vertrieben hatten, der sich vielleicht in der Nähe aufhielt.
    Am Spätnachmittag, als die Sonne kaum noch wärmte, zog er den leeren Karren den Abhang hinauf und durch die Bresche im Zaun. Dort blieb Chaney nur kurz stehen, um die Brechstange aufzuheben. Er wagte nicht, sich umzudrehen. Er fürchtete, was er dort sehen … oder nicht sehen würde. Hätte er sich umgedreht und entdeckt, daß der Mann bereits bei den Kisten war, hätte er sich bestimmt nicht beherrschen können und ihn wieder erschreckt. Hätte er jedoch feststellen müssen, daß die Welt so unbelebt wie zuvor war, wäre er noch deprimierter gewesen. Er würde sich nicht umdrehen.
    Er folgte seiner eigenen Spur durch das hohe Gras zur Straße zurück. Irgendein kleines Tier floh raschelnd vor ihm.
     
    Chaney stand am Rand des Parkplatzes, betrachtete das ehemalige Blumenbeet und dachte an Kathryn van Hise. Wäre sie nicht gewesen, würde er noch immer in Florida am Strand sitzen und sich überlegen, wann er in die Denkfabrik zurückfahren sollte. Wäre sie nicht gekommen, hätte er nur dann etwas von Seabrooke, Moresby und Saltus gehört, wenn ihre Namen zufällig in Arbeitsunterlagen der Indiana Corporation erschienen wären. Er wäre nicht zwei Jahre

Weitere Kostenlose Bücher