Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
Kapitel 1
Etwas Schönes
Großherzogin Zofiya schlief im Kaiserpalast inmitten reicher Schätze aus den Herrschaftsgebieten ihres Bruders und ihres Vaters. Ihr prächtiges Bett hatte die Form und den Anstrich eines Segelschiffs und war mit weißen Laken aus schimmerndem Satin bezogen.
Doch es garantierte ihr keine Nacht friedlichen Schlummers. Sie lag zwischen zerwühlten Decken, das lange, schwarze Haar verschwitzt und zerzaust. Albträume suchten sie heim und raubten ihr die berühmte Ruhe auf eine Art, die ihre Kaisergardisten überrascht hätte.
Schließlich fuhr Zofiya aus dem Schlaf hoch, setzte sich mit halb ersticktem Schrei im Bett auf, versuchte, ihr hechelndes Atmen unter Kontrolle zu bekommen, und griff intuitiv nach dem Medaillon an ihrem Hals.
Im Schlafzimmer war es fast still; nur die feinen Vorhänge wehten im Wind, und weit entfernt im Flur waren die vielen Uhren zu hören, die vor sich hin tickten. Dieses Geräusch war vertraut und beruhigend; ihr Bruder hatte von ihrem Vater die Liebe zu Geräten und Maschinen geerbt. An Albträume war sie jedoch nicht gewöhnt. Diesmal hatte jemand Kal getötet, und sie hatte nicht rechtzeitig bei ihm sein können.
Ihr Bruder, der Kaiser, war ein großer Mann, schenkte seiner persönlichen Sicherheit aber wenig Aufmerksamkeit. Er war überzeugt davon, er habe diesen Kontinent bezähmt und das Schlimmste liege hinter ihnen. Zofiya wusste es besser.
Die Großherzogin schlüpfte aus ihrem kunstvollen Bett, tappte zum Fenster und schaute auf die schlafende Stadt hinaus, ohne zu bemerken, dass sie das Medaillon noch immer festhielt. Tausende Lichter funkelten über der Lagune. Die Brücken waren eine einzige leuchtende Perlenschnur. Der Schein vereinzelter Straßenlaternen tauchte selbst die Elendsviertel am Stadtrand in ein mildes Licht. Direkt unter sich konnte sie nicht nur ihre Kaisergardisten auf dem Posten entdecken, sondern auch die verhüllten Gestalten der Soldaten aus Chioma.
Die Delegation war seit einem Monat in der Hauptstadt, um die Möglichkeit einer Heirat zwischen dem Kaiser und Ezefia auszuloten, der Tochter des Prinzen dieses fernen Fürstentums. Es waren keine Versprechungen gemacht worden, aber sie wusste, dass Kal mit diesem Gedanken spielte. Der Thron musste schnell gesichert werden, und Onika, der Prinz von Chioma, war sagenhaft reich.
Ihr Bruder hätte die Gruppenheirat vorgezogen, die in ihrem Heimatland Delmaire praktiziert wurde, aber er war klug genug, den Bürgern von Arkaym diese Sitte nicht aufzuzwingen. Veränderungen vollzogen sich hier nur langsam, aber es gab sie immerhin. Zum Beispiel in der Stadt. Sie war nicht so majestätisch wie Toth, die Hauptstadt ihres Vaters, doch sie machte sich wieder – nach einer langen Zeit des Elends und der Qual. All das war das Werk ihres Bruders. Dennoch gab es viele, die ihn aufhalten wollten.
Zofiya ballte die Faust um den runden Rand des Anhängers, bis es schmerzte. Vor einer Woche hatte sie das aus Delmaire mitgebrachte Medaillon auf dem Exerzierplatz verloren. So sehr die Dienstboten den Sand auch durchsiebt hatten, sie hatten es nicht gefunden.
Doch als sie an jenem Abend in ihr Schlafzimmer gekommen war, hatte dieses neue Medaillon auf dem Kissen gelegen. Es war von etwas anderer Art; fünf Diamanten waren in die steinerne Schlangenwindung eingelassen, die Hatipais sich ständig bewegende Natur darstellte, und es war größer als das Schmuckstück, das sie verloren hatte. Wahrscheinlich hatte es ein Adliger anfertigen lassen, um jemandes Gunst zu gewinnen.
Bei Hof war Zofiyas Glaube ein offenes Geheimnis. Die kleinen Götter wurden zwar nicht verfolgt, waren aber Gegenstand von Spott und Hohn. Nahezu tausend Jahre waren eine lange Zeit, um trotz der geringschätzigen öffentlichen Meinung an einem Glauben festzuhalten, doch die Sekte der Hatipai, der die Großherzogin angehörte, hatte es geschafft. Obwohl sie das Medaillon tagsüber unter ihren Kleidern trug, würde sie ihre Göttin nicht verleugnen. Wenn die Menschen um Zofiya tratschen wollten, konnte sie sie nicht daran hindern.
Kal wusste von dem Glauben seiner Schwester, tat ihn jedoch als abergläubischen Unsinn ab. Als die Anderwelt mit einer Flut von Geistern hereingebrochen war, hatte der größte Teil der Bevölkerung den Glauben verloren, auch die königliche Familie von Delmaire. Aber Zofiya war aus anderem Holz geschnitzt.
Doch als sie jetzt auf die Stadt hinausschaute, wandte sie ihre Gedanken den dunklen
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