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Das Jahr der stillen Sonne

Das Jahr der stillen Sonne

Titel: Das Jahr der stillen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilson Tucker
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aufgehäuft worden. Chaney konnte seine Neugier nicht länger beherrschen; er kniete nieder, hob den Holzdeckel ab und stellte fest, daß die Zisterne halb mit Wasser gefüllt war. Die Wände der Grube waren mit alten Ziegeln und Steinplatten verkleidet, aber das Wasser war erstaunlich sauber. Chaney sah sich um und stellte fest, daß die Einmündungen der beiden Wasserrinnen mit Drahtgitter versehen waren, so daß weder grober Schmutz noch kleine Tiere in die Zisterne gelangen konnten. Die Rinnen selbst waren sauber, und jemand hatte sich bemüht, die Stöße mit einer teerartigen Masse abzudichten.
    Chaney legte sein Gewehr weg und beugte sich über die Öffnung der Zisterne, um ihren Bau genauer zu studieren. Er entsprach einem bekannten Vorbild.
    Die Zisterne war wie der Karren nicht von geschickten oder geübten Händen gebaut worden. Die Wände waren nicht ganz senkrecht, der Schacht war nicht kreisrund, und die Anlage schien oben einen größeren Durchmesser als unten zu haben. Dieser Bau wirkte amateurhaft, weil der Schacht ohne Senkblei gegraben worden war – aber er war eine getreue Kopie einer nabatäischen Zisterne und würde wahrscheinlich noch in hundert Jahren Wasser halten. In dieser Umgebung wirkte er verblüffend. Chaney legte den Deckel wieder auf und griff nach seinem Gewehr.
    Als er sich umdrehte, sah er das Grab.
    Es erschreckte ihn. Bisher war es im hohen Gras verborgen gewesen, aber jetzt erkannte er, daß ein weiterer Fußpfad von der Zisterne aus dorthin führte. Der Grabhügel war niedrig und mit kurzem Gras bewachsen; das Kreuz darüber war aus zwei Brettern zusammengenagelt und weiß gestrichen worden. Auf dem Querbalken war eine verblaßte Inschrift zu sehen.
    Chaney ging auf das Grab zu und beugte sich über das windschiefe Kreuz. Er konnte die Inschrift nur mühsam entziffern:
     
    A ditat Deus K
     
    Die Tür des Wachgebäudes war aus den Angeln gehoben und fortgeschafft worden – vielleicht um beim Bau des Karrens verwendet zu werden.
    Chaney näherte sich zögernd › der leeren Öffnung. Er war darauf gefaßt, Gefahren zu begegnen, aber er fürchtete das Unbekannte trotzdem. Jetzt trat er über die Schwelle. Der Raum war leer. Hier war keine Spur von den Männern zurückgeblieben, die in diesen vier Wänden gestorben waren: weder Knochen noch Waffen noch Fetzen irgendwelcher Kleidungsstücke. Nichts. Einige Fensterscheiben waren zertrümmert worden, aber andere waren unbeschädigt. An zwei Fenstern fehlten die Fliegengitter.
    Er verließ das Wachgebäude und betrachtete nachdenklich das Tor.
    Die beiden Flügel waren geschlossen und mit Kette und Vorhängeschloß gesichert, so daß man schon ein guter Kletterer sein mußte, um dieses Hindernis zu überwinden. Jemand hatte sogar versucht, das Tor unübersteigbar zu machen, indem er Stacheldraht durch die Stäbe flocht. Das alles nahm Chaney mit einem Blick wahr, bevor er näher an das Tor herantrat, um die zusätzliche Warnung zu betrachten. Drei Totenschädel hingen außen am Tor und grinsten auf die Straße hinaus: die Schädel der drei Männer, die vor langem im Wachgebäude den Tod gefunden hatten. Diese Warnung war auch ohne Worte klar.
    Chaney sah niemanden. Das Tor und die ehemalige Straße waren offenbar seit Jahren nicht mehr benutzt worden; die Warnung schien gewirkt zu haben. Die umliegenden Felder, die Straßengräben und die Straße selbst waren von Gras und Unkraut überwuchert, aber durch dieses Gras war schon lange niemand mehr gegangen. Die schwarze Asphaltdecke der Zufahrtsstraße war kaum noch auszumachen; ein Auto, das diese Straße benutzen wollte, würde nur im Schrittempo vorankommen.
    Chaney fotografierte das Tor und die Straße, bevor er aufbrach.
    Er marschierte nach Norden und folgte der vertrauten Route zu dem Gebäude, in dem er kurze Zeit mit Saltus und Moresby gewohnt hatte. Aber er wäre fast daran vorbeigegangen, weil die Fundamente mit Gras und Unkraut überwachsen waren. Nicht einmal Mauerreste ragten aus dem grünen Gewirr auf.
    Chaney bahnte sich einen Weg durchs Gras und scheuchte dabei ein Tier auf, das er nicht sofort als Kaninchen erkannte. Er fand die Grundmauern eines länglichen Gebäudes, aber er konnte nicht sagen, ob es das war, in dem er gewohnt hatte. Im kurzen Gras an der Mauer sah er kleine blaue Blumen, deren Namen er nicht kannte, und an einer Stelle wuchsen sogar Walderdbeeren. Chaney sah zum Himmel auf, um den Sonnenstand zu beurteilen, und starrte dann wieder die Erdbeeren

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