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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Krieg und Hungersnot. Nach einem guten Schluck aus dem silbernen Flachmann kam wieder etwas Farbe in die Welt.
    Am Eingang und im Vorraum hingen Plakate. Bülent, der jetzt Elvis Vegas hieß, sah darauf in der Tat dem jungen Presley verblüffend ähnlich – schwarzes Leder-Blouson, gelbes Halstuch, schwarzes Hemd, Bluejeans, weiße Socken, schwarz-weiße Slipper. So würde er auch auf der Bühne auftreten.
    Der Chef des
Cheyenne Clubs
, ein schnauzbärtiger ehemaliger Boxer namens Manni, hatte die Ruhe weg. Alter Hase. »Der Laden wird voll sein, keine Angst«, sagte er. Seine Stimme war heiser von Schnaps und Zigaretten. »Wir haben gut geworben. Im
Abendblatt
und in der
Morgenpost
stand auch was, wie ihr sicher mitgekriegt habt, und wenn der Junge …«, er klopfte Bülent auf den Rücken, »… nur halb so gut ist wie auf dem Demo-Band, kann nichts passieren. Hauptsache, keine Drogen. Ich hab schon Pferde kotzen sehen. Glaubt mir. Drogen beim Auftritt – und alles wird unberechenbar.«
    Backstage standen belegte Brote, Gebäck und Getränke bereit, aber niemand verspürte Appetit. Roadies flitzten herum, wussten offenbar ganz genau, was zu tun war. Wo blieben nur die verdammten Musiker? Eddy winkte ab. Ich solle mir keine Sorgen machen. Pünktlichkeit sei nicht ihre Stärke. Doch schon schlurften sie herein, entspannt wie ein Kegelklub. Fünf langhaarige, teils bärtige Rock’n’Roll-Recken und ein glatzköpfiger Schwarzer, der zu einigen Stücken wie etwa
Dixieland Rock
und
Trouble
Trompete oder Saxophon spielen sollte. Jeder von ihnen klopfte Bülent kumpelhaft auf den Rücken. Den Sound-Check zogen sie zügig und ohne Probleme durch.
    Noch eine halbe Stunde. Die Türken-Fraktion, angeführt vom Gürsel-Klan, traf ein, etwas mehr als zwanzig Leute – Verwandtschaft, Freunde von Bülent, Nachbarn, sein ehemaliger Chef, der Pistazien verteilte, und alle im besten Zwirn, alle ziemlich unsicher, steif und bewegt. Andächtig starrten sie auf die Plakate, konnten es kaum fassen, dass einer der Ihren darauf zu sehen war, riesengroß, lässig und schön, leider nicht unter seinem türkischen Namen, aber mühelos als Türke zu erkennen – und das war schließlich ausschlaggebend. Weitere Gäste tröpfelten herein. Doch dann entströmten dem Bus an der nahen Haltestelle massenhaft Jugendliche, die ausnahmslos zum
Cheyenne
marschierten. Mehrere Schrottkarren – Ford Taunus, Golf und Opel Rekord – fuhren hupend vor. Leder-Typen stiegen, überzeugt von ihrer Wichtigkeit, bedächtig von schweren Motorrädern und bewegten sich, Respekt heischend, in den Vorraum.
    Der überwiegende Teil der Besucher bestand aus Jugendlichen, die alle die gleichen Klamotten trugen, nämlich Turnschuhe, Bluejeans, blaue Jeans-Jacken, Sweat-Shirts. Halblange Haare à la Berti Vogts und Günter Netzer schienen bei den Jeans-Trägern männlichen Geschlechts obligatorisch zu sein. Auch HSV-Embleme waren in diesen Kreisen üblich. Die zweitgrößte Gruppe stellten die Teds, also Jugendliche und nicht mehr ganz frische Nostalgiker, die sich kleideten wie die Rock’n’Roller der 50er Jahre – Jungs mit Entenschwanz-Frisur, langen Jacken mit Samt-Revers, schwarzweißen Slippern und so, die Mädchen mit Pferdeschwanz und Petticoat. Dann folgte die Türken-Riege mit immerhin um die zwanzig Personen, auffallend unzeitgemäß in ihrem steifen Sonntagsstaat, stolz, aber misstrauisch, zusammengeschweißt zu einem festen Block. Den Schluss bildeten die schon etwas älteren Rocker und ein paar kichernde Kiffer. Ein Raunen ging durch den Saal. Tony Sheridan, der rauhe Rock‘n‘Roller, der schon mit den Beatles gespielt hatte, war in Begleitung von zwei Kumpels eingetroffen. Dank Eddys gutem Draht zu den Medien waren zwei Journalisten gekommen. Sie sahen gelangweilt aus – hatten schon zu viele Elvis-Nachahmer erlebt –, wirkten müde und schienen gedanklich bereits am Tresen ihrer Stammkneipe auf das erste Bier des Tages zu warten.
    Von oben, vom Backstage-Bereich, konnte man durch ein Fenster in den Vorraum sehen.
    Bülent erbleichte. »Oh Scheiße«, stöhnte er gequält. »Mensch, Hans, da unten sind hauptsächlich Türkenhasser. Solche Typen kenne ich. Besoffene HSV-Fans, die Teds mit ihren Südstaaten-Emblemen, dumpfe Rocker. Vorhin hab ich mitgekriegt, wie sich einige das Plakat näher ansahen und einer enttäuscht sagte: ›Was soll das denn? Das is ja’n Türke.‹ Das wird eine Katastrophe. Zumindest für mich. Die da unten werden

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