Das Kellerzimmer (German Edition)
mitbekäme von Papas Ausrastern, dann wäre Julia schon zufrieden. Julia konnte Papa aber oft auch verstehen. Er arbeitete so hart und sorgte dafür, dass Mama sich zu Hause um alles kümmern konnte. Statt dass sie sich ihm dafür dankbar zeigte, zickte Mama manchmal rum. Lisa wollte auch mal mit Freundinnen weggehen oder hatte keine Lust sich hübsch zu machen. Dabei sollte sie doch froh sein, dass ihr eigener Mann noch so verliebt in sie war! Julia wusste, dass sie nicht so hübsch wie ihre Mutter war. Mama war der Star der Familie, die Schlankste und am besten Angezogene von allen.
Julia hatte eine Ahnung, warum Mama so weinte. Es hing mit Vivien zusammen, aber niemand durfte darüber sprechen. Ihre Mutter hatte neulich den Fehler gemacht und es doch getan. Papa wäre beinahe durchgedreht vor Wut. Niemand durfte von der Sache erfahren, das war Ehrensache. Nicht auszudenken, wenn ihre Familie auseinandergerissen worden wäre – Julia sprach auch nie darüber, weil sie zu viel Angst vor Veränderungen hatte. Aber etwas veränderte sich doch: ihr Interesse an Jungs. Julia war schüchtern und bewunderte ihre Freundinnen, die schon längst mit Jungs rummachten, sich mit ihnen trafen und noch viel mehr. Niemals würde ihr Vater ihr das erlauben. Trotzdem musste Julia ständig an den Neuen aus ihrer Parallelklasse denken. Er war genauso still wie sie, trug immer eine schwarze Motorradjacke und machte den Eindruck eines einsamen Wolfes. Bestimmt war er nicht wie die anderen Typen, die mit den Mädchen doch sowieso nur ins Bett wollten. Der Neue, Damian hieß er, sah toll aus mit seinen schwarzen Locken und den dunklen Augen. Wie konnte sie es nur anstellen, dass er sie einmal ansah, von ihr Notiz nahm? Und wenn es so wäre, wie sollte sie das vor Papa verheimlichen? Ihr Vater war der Meinung, dass man erst ab 18 einen Freund haben durfte – und dieser sollte dann auch wirklich ernsthafte Absichten haben. Nuttiges Verhalten wurde im Hause Suhrhoff nicht toleriert und Julia beugte sich dem. Ihre Kleidung war modisch und okay, aber niemals hätte sie solche figurbetonten Sachen wie ihre Mutter anziehen dürfen. Darum musste Mama ja auch zu Hause bleiben oder zusammen mit Papa unterwegs sein: diese Frau gehörte Ingmar und sonst keinem.
Julia horchte in Richtung Schlafzimmer. Mama hatte aufgehört zu weinen. Gott sei Dank! Nicht zu Mama gehen zu dürfen und sie zu trösten, wenn sie unglücklich war, fiel Julia unglaublich schwer. Allerdings tröstete Mama sie auch nicht, wenn sie weinte. Keiner tröstete hier irgendwen, außer Julia den süßen Sebastian. Er sollte fröhlich und unbeschwert bleiben. Julia kritzelte ihren Block voller Herzen und Damian und träumte sich weit weg. Eines Tages würde sie so schön wie ihre Mutter sein mit einem Mann, der sie liebte und auf Händen trug. Trotz allem war Papa ihr Held, der sich um alles kümmerte. Zur Not auch mal mit groben Mitteln, aber vermutlich machten das alle Männer so, die sich um ihre Familie sorgten.
Lisa trocknete mit dem Handrücken ihre Tränen und erhob sich vom Bett. Gut, dass Julia ihren iPod so laut angehabt hatte, sonst hätte sie womöglich noch etwas gehört. Es war einfach so über sie gekommen. Sie fühlte sich so entsetzlich einsam. Nun hinterging sie auch noch diese Don-Fetti-Frau. Kaum hatte Lisa abgesagt, rannte doch tatsächlich die Schlampe Elaine bei Hanna durch die Tür! Was für ein billiger Ersatz! Bestimmt hatten sie sich stundenlang über Lisa das Maul zerrissen. Das tat Elaine doch immer – wie abschätzig sie Lisa betrachtete, wenn sie sich über den Weg liefen. Ihre Blicke waren eine Mischung aus Verachtung und Mitleid. So als ob sie etwas wüsste. Aber das konnte nicht sein, das durfte nicht sein. Ingmar hatte mal wieder Recht gehabt – man konnte einfach keinem außerhalb der Familie trauen. Trotzdem war Lisa eifersüchtig auf das Frühstück bei Hanna, das Elaine statt ihrer selbst bekommen hatte. Gut, dass Lisa zufällig vom Wachposten geschaut hatte, sonst wäre ihr die albere Abschiedsszene zwischen Hanna und Elaine entgangen. Sie hatten sich sogar kurz umarmt! Das war ja lächerlich, zumal diese Schlampe aussah wie der allerletzte Mensch. Ungepflegt, barfuß in Hausschuhen und mit einem alten Männeranorak. Lisa konnte kaum glauben, was sie gesehen hatte. Hanna war doch so hübsch zurecht gemacht gewesen und hatte sogar ihre überflüssigen Kilos recht geschickt kaschiert. So gerne hätte Lisa auch wieder eine Freundin gehabt,
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