Das Komplott der Senatoren (German Edition)
Sekundenlang konnte er den Blick nicht von diesem Gesicht abwenden, vergaß vor Schreck, die Lampe auszuknipsen. Der alte Mann bewegte sich nicht, er blinzelte auch nicht, er war tot. Heilige Scheiße!, ein toter Senator gehörte nicht zum Job, ganz und gar nicht. Am liebsten wäre er wie der Blitz aus dem Haus gerannt, hätte er nicht den braunen Umschlag auf den Knien des Toten gesehen. Mit äußerster Vorsicht näherte er sich dem Sessel, jederzeit sprungbereit, als könnte ihm der Senator plötzlich an die Gurgel fahren. Ohne den reglosen Körper zu berühren, zog er den Umschlag unter den toten Händen hervor. Dragon, Chicago, der Absender stimmte, es war der gesuchte Brief, aber der Inhalt fehlte. Nicht gut, ganz schlecht. Er wusste jetzt mit Bestimmtheit, dass die Ware hier war, wenn der Alte die Papiere aus dem Umschlag nicht vernichtet hatte. Unter normalen Umständen hätte er ohne weiteres in den sauren Apfel gebissen und das ganze Haus durchsucht, aber ein toter Senator war kein normaler Umstand. Er saß bis zum Hals in der Scheiße, soviel war klar. Wenn die Cops mit ihren Einsteins hier auftauchten, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis ihn, trotz aller Vorsicht, irgendeine verdammte Hautschuppe unweigerlich ans Messer lieferte. Dieser Routinejob entwickelte sich zu einer ganz miesen Nummer, aus der er so schnell wie möglich aussteigen musste, bevor er die Nerven verlor. Er schob den Umschlag wieder an seinen Platz, schlüpfte hinaus, und verließ das Haus über die Terrasse in dem Moment, als es an der Haustür klingelte.
Jade war da.
Potomac, Maryland, zwei Tage später
Wie lange war er nicht mehr hier gewesen? Lee erinnerte sich nicht an den letzten Besuch bei seinem Vater, aber er war sicher nicht angenehm verlaufen. Und jetzt war der allmächtige Senator tot.
»Mr. Lee!«, begrüßte ihn Maria mit Tränen in den Augen. Ihre Stimme klang, als würde sie im nächsten Augenblick zu schluchzen beginnen. Wenigstens ein Mensch, der dem Verblic h enen ehrlich nachtrauerte, dachte er bitter.
»Maria, wie geht es Ihnen?«
»Es ist so schrecklich, Mr. Lee. Und ich war nicht da, als es passierte!« Sie sagte es, als trüge sie die Schuld an seinem Tod.
Lee trat durch den Triumphbogen ins Haus.
»Was ist denn geschehen?«, fragte er, obwohl ihn das Büro des Senators bereits eingehend informiert hatte. Marias Wortschwall bestätigte die traurige Geschichte: sie wäre fast selbst gestorben, als sie den Senator gestern Morgen tot in der Bibliothek gefunden hatte. Der Arzt stellte akutes Herzversagen fest. Ein Herz-Kreislauf-Kollaps, nichts Ungewöhnliches bei Menschen seines Alters. Der Sarg mit den sterblichen Überresten des großen Politikers wa r tete nun im Bestattungsinstitut auf die Überführung in seine alte Heimat, nach Phoenix. »Wenigstens hat er nicht lange leiden müssen«, sagte er, ohne zu erröten.
»Oh ja, Mr. Lee, das ist ein großer Trost für uns alle«, stimmte sie zu und begann he m mungslos zu weinen. Er wusste nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Sie hatte ihn wirklich geliebt, den alten Sack, der ihm auch tot kein bisschen sympathischer wurde. Lee kannte ihn seit er denken konnte als selbstgerechten Egomanen, der es geradezu darauf anlegte, seine politischen Gegner platt zu walzen. Gegner gab es genug, denn er politisierte am äußersten rechten Rand, die freie Marktwirtschaft möglichst ohne staatlichen Einfluss war sein Eva n gelium. Er war ein exzellenter Networker, seine Fäden reichten in die Verwaltungsräte und Chefetagen der wichti g sten Unternehmen. Er unterstützte die großen Energiekonzerne in ihrer rückwärts gerichteten Energiepolitik aus dem letzten Jahrtausend und wurde nicht müde, jeden unkonventionellen, zukunftsgerichteten Ansatz ins Lächerliche zu ziehen. Auch die Arbeit seines eigenen Sohnes. Dass Lees junge Firma ›Disruptive Technologies‹ mit neuartigen Technologien energiesparender Wasseraufbereitung schon schöne Erfolge erzielte, interessierte den alten Knacker nicht die Bohne. Auch nicht, dass Lee seine r zeit als einer der besten Physiker seines Jahrgangs an der U of C, der University of Chicago, abgeschlossen hatte. Seinen Master ›summa cum laude‹ nahm er nicht ei n mal zur Kenntnis. Ein ewiger Träumer wäre er, der sich mit lächerlichen Hobbies beschäftige, statt richtige Arbeit zu ve r richten. Zu liberal, zu links war er seinem Vater selbstverständlich auch, wie fast jedermann. Senator
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