Das Lächeln der Sterne
Norden ein, zu dem Ort, der sein Ziel war.
Die Outer Banks erschienen Paul fremdartig und mystisch. Mit dem Riedgras, das die hügeligen Dünen bedeckte, und den Strandeichen, die bei der unablässigen Meeresbrise schief wuchsen, war dies ein Ort wie kein anderer. Zu Urzeiten waren die Inseln mit dem Festland verbunden gewesen, aber nach der letzten Eiszeit hatte das Meer das unmittelbar westlich liegende Land überflutet und den Pamlico Sound gebildet. Bis in die Fünfzigerjahre gab es auf diesen Inseln keine befestigte Straße, sodass die Menschen am Strand entlangfahren mussten, um zu ihren Häusern hinter den Dünen zu gelangen. Selbst heute noch war es gang und gäbe, am Strand zu fahren, und Paul erkannte Reifenspuren auf dem festen Sand.
Der blaue Himmel kam immer wieder zum Vorschein, und trotz der dichten Wolken, die wütend dem Horizont entgegenrasten, blitzte die Sonne manchmal auf und tauchte die Welt in ein grellweißes Licht. Über dem Surren des Automotors hörte Paul das Rauschen des Ozeans.
Um diese Jahreszeit waren die Outer Banks fast menschenleer, sodass er die vor ihm liegende Straße für sich hatte. In dieser Einsamkeit wanderten seine Gedanken wieder zu Martha.
Die Scheidung war erst vor zwei Monaten amtlich geworden, aber er und Martha waren freundschaftlich auseinander gegangen. Er wusste, dass sie einen anderen Mann kennen gelernt hatte, und vermutete, dass sie ihm schon vor ihrer Trennung begegnet war, aber das war nicht wichtig. In letzter Zeit erschien ihm nichts wichtig.
Nachdem Martha ausgezogen war, drosselte Paul – wie er zunächst glaubte, vorübergehend – sein Arbeitspensum, weil er dachte, er brauche Zeit, um sein Leben neu zu ordnen. Doch ein paar Monate später nahm er nicht etwa seine alten Arbeitsgewohnheiten wieder auf, sondern reduzierte das Pensum noch mehr. Zwar trainierte er weiterhin regelmäßig, aber er las nicht mehr jeden Morgen den Finanziell der Zeitung, weil er feststellte, dass es ihn nicht mehr interessierte. So weit seine Erinnerung zurückreichte, hatte er immer nur sechs Stunden Schlaf gebraucht, doch je ruhiger sein Leben wurde, desto länger brauchte er, um sich wirklich ausgeruht zu fühlen.
Er stellte auch körperliche Veränderungen fest. Zum ersten Mal seit Jahren spürte Paul, dass sich die Muskeln in seinen Schultern entspannten. Die Falten in seinem Gesicht, die sich im Laufe der Jahre tief eingegraben hatten, waren noch deutlich sichtbar, aber der angespannte Ausdruck, den er früher in seinem Spiegelbild gesehen hatte, war einer Art erschöpfter Melancholie gewichen.
Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er geglaubt, dass er alles erreichen konnte. Er war gelaufen und gelaufen, er hatte den Gipfel des Erfolgs erklommen, doch dann hatte er festgestellt, dass er nie dem Rat seines Vaters gefolgt war. Sein Leben lang war er weggelaufen vor etwas, und nicht auf etwas zugelaufen, und tief in seinem Herzen wusste er, dass alles vergeblich gewesen war.
Jetzt war er vierundfünfzig Jahre alt und allein in der Welt. Und während er auf den Asphalt blickte, der sich vor ihm erstreckte, konnte er nicht umhin, sich zu fragen, warum und wovor er so verbissen fortgelaufen war.
Paul näherte sich seinem Ziel. Er hatte eine Unterkunft in einer kleinen Frühstückspension nicht weit von der Hauptstraße gebucht, und als er jetzt den Ortsrand von Rodanthe erreichte, blickte er sich aufmerksam um. Der Ortskern, wenn man es denn so nennen konnte, bestand aus mehreren Geschäften, in denen es so gut wie alles zu kaufen gab. Der Supermarkt führte neben Lebensmitteln auch Eisenwaren und Angelutensilien, an der Tankstelle gab es Reifen und Autozubehör, außerdem bot ein Mechaniker seine Dienste an.
Paul brauchte nicht nach dem Weg zu fragen, sondern bog kurz darauf von der Straße ab und fuhr einen Kiesweg entlang. Als er die Pension von Rodanthe schließlich vor sich sah, fand er sie hübscher, als er sie sich vorgestellt hatte. Es war ein altes weißes Haus im Viktorianischen Stil, mit schwarzen Fensterläden und einer einladenden Veranda. Auf dem Geländersims standen Blumentöpfe mit blühenden Stiefmütterchen, und eine amerikanische Flagge flatterte im Wind.
Paul suchte seine Sachen zusammen, warf sich die Seesäcke über die Schulter, ging die Stufen hinauf und betrat das Haus. Der Fußboden aus Kieferndielen war nach all den Jahren, in denen sandige Schuhe darüber gegangen waren, abgenutzt. Links ging es in ein gemütliches Wohnzimmer – ein
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