Das Lächeln der Sterne
heller und freundlicher Raum, denn durch zwei große Fenster zu beiden Seiten des Kamins strömte das Licht herein. Paul registrierte den Geruch von frisch gebrühtem Kaffee. Auch ein kleiner Teller mit Keksen stand für seine Ankunft bereit. Linkerhand in der Eingangshalle befand sich ein kleiner Tisch, wo man sich anmelden sollte, aber es war niemand dort. In der Ecke hingen die Zimmerschlüssel an Schlüsselanhängern, die kleine Leuchttürme darstellten. Paul trat an den Tisch und drückte auf die Klingel, um auf sich aufmerksam zu machen.
Er wartete eine Weile und klingelte dann noch einmal. Kurz darauf hörte er einen gedämpften Aufschrei, oder zumindest klang es so. Das Geräusch schien aus dem hinteren Teil des Hauses zu kommen. Paul stellte seine Sachen ab. Er ging um den Anmeldetisch herum und stieß die Schwingtür dahinter auf, die in die Küche führte. Auf der Arbeitsfläche standen drei volle Einkaufstüten.
Die Tür zur hinteren Veranda stand offen und lockte ihn in diese Richtung. Der Holzboden knarrte, als er hinaustrat. Links waren zwei Schaukelstühle mit einem kleinen Tisch zu sehen, und rechts davon entdeckte er die Frau, die den Schrei ausgestoßen hatte.
Sie stand an der Ecke der Veranda und blickte zum Meer hinaus. Wie Paul hatte sie verschossene Jeans an, doch dazu trug sie einen dicken Wollpullover mit Stehkragen. Ihr mittelbraunes Haar war zurückgesteckt, und ein paar lose Strähnen bewegten sich im Wind. Vom Geräusch seiner Stiefel aufgeschreckt, drehte sie sich um. Ein Stück entfernt ritten ein Dutzend Seeschwalben auf den Windböen, und auf dem Geländer stand ein Kaffeebecher. Paul wandte den Blick ab, konnte aber nicht umhin, die Frau sofort wieder anzusehen. Sie weinte, aber Paul sah, dass sie hübsch war. Allerdings verriet ihm etwas in ihrer Bewegung, dass sie sich dessen nicht bewusst war. Und jedes Mal, wenn er später an diesen Augenblick zurückdachte, erinnerte er sich gleichzeitig daran, dass sie ihm dadurch umso reizvoller erschienen war.
VIER
Amanda sah ihre Mutter über den Tisch hinweg an.
Adrienne hatte aufgehört zu sprechen und sah aus dem Fenster. Es regnete nicht mehr, doch vor dem Fenster war der Himmel düster. In der Stille hörte Amanda das regelmäßige Summen des Kühlschranks.
»Warum erzählst du mir das, Mom?«
»Weil ich glaube, dass du es wissen solltest.«
»Aber warum? Ich meine, wer war denn der Mann?«
Statt zu antworten, griff Adrienne nach der Weinflasche und öffnete sie. Nachdem sie sich selbst eingegossen hatte, füllte sie auch für ihre Tochter ein Glas.
»Vielleicht brauchst du das jetzt«, sagte sie.
»Warum?«
Adrienne schob das Glas über den Tisch.
»Erinnerst du dich noch an damals, als ich nach Rodanthe gefahren bin? Als Jean gefragt hat, ob ich sie in der Pension vertreten könnte?«
Es dauerte einen Moment, bis ihre Tochter verstand.
»Du meinst, als ich noch auf der Highschool war?«
»Ja.«
Als Adrienne den Faden wieder aufnahm, griff Amanda unwillkürlich nach ihrem Weinglas und fragte sich, was das alles zu bedeuten hatte.
FÜNF
An jenem düsteren Donnerstagnachmittag stand Adrienne auf der hinteren Veranda der Pension und wärmte sich die Hände an dem Kaffeebecher. Sie blickte auf das Meer hinaus und stellte fest, dass der Wellengang stärker war als noch eine Stunde zuvor. Das Wasser hatte die Farbe von Eisen, wie der Rumpf eines alten Schiffes, und bis zum Horizont sah Adrienne kleine Schaumkronen auf den Wellen tanzen.
Im Grunde wünschte sie sich, sie wäre nie hergekommen. Sie vertrat ihre Freundin in der Pension und hatte gehofft, es wäre eine gute Ablenkung für sie. Doch im Moment glaubte sie eher, dass es ein Fehler gewesen war. Zum einen machte das Wetter nicht mit – den ganzen Tag über war im Radio vor dem Sturm gewarnt worden, der aus Nordosten näher kam. Die Aussicht, dass der Strom ausfiel oder sie sich zwei Tage im Haus verkriechen musste, behagte ihr gar nicht. Doch schlimmer noch war, dass der Anblick des Strandes trotz des bedrohlichen Wetters Erinnerungen an viele schöne Familienferien wachrief, an glückliche Tage, als sie mit sich und der Welt noch zufrieden gewesen war.
Lange Zeit hatte Adrienne sich für einen glücklichen Menschen gehalten. Sie hatte Jack kennen gelernt, als er im ersten Jahr Jura studierte. Damals galten sie als das perfekte Paar – er war groß und schlank und hatte schwarz gewelltes Haar. Sie war brünett mit blauen Augen und um einiges schlanker als
Weitere Kostenlose Bücher