Das Lächeln der Sterne
ihr Leben zurückblickte, erkannte sie, dass sie kaum etwas anders machen würde, wenn sie noch einmal die Gelegenheit dazu hätte, und das war der Grund, warum sie nachts ruhig schlief.
Außerdem brachte das Jungsein viele Probleme mit sich. Adrienne erinnerte sich nicht nur an ihre eigene Jugend, sie hatte auch ihre Kinder begleitet, als diese mit den Ängsten der Pubertät und den Unsicherheiten und dem Chaos des frühen Erwachsenenlebens zu kämpfen hatten. Obwohl zwei von ihnen jetzt schon über dreißig waren und der Dritte fast dreißig, fragte sie sich manchmal, ob es wohl je eine Zeit geben würde, die nicht mehr von ihrer Rolle als Mutter bestimmt war.
Matt war zweiunddreißig, Amanda einunddreißig, und Dan war gerade neunundzwanzig geworden. Alle drei waren zum College gegangen, und darauf war Adrienne stolz, denn es hatte eine Zeit gegeben, als sie daran zweifelte, ob auch nur eines ihrer Kinder es schaffen würde. Sie waren ehrlich, freundlich und genügsam, und im Grunde genommen waren sie so geraten, wie sie es sich gewünscht hatte. Matt war Steuerberater, Dan Sportberichterstatter bei den Abendnachrichten, die aus Greenville gesendet wurden, und beide waren verheiratet und hatten schon eigene Kinder. Als ihre Söhne zu Thanksgiving bei ihr gewesen waren, hatte sie, so erinnerte sie sich, ein wenig abseits gesessen und zugesehen, wie die beiden von ihren Kindern auf Trab gehalten wurden. Adrienne hatte eine große Befriedigung verspürt bei dem Gedanken, wie gut sich das Leben ihrer Söhne entwickelt hatte.
Für ihre Tochter war alles – wie immer schon – ein wenig komplizierter.
Als Jack auszog, standen die Kinder am Anfang der Pubertät, und jedes hatte die Scheidung auf seine eigene Art verarbeitet. Matt und Dan hatten ihre Aggressionen auf dem Sportplatz rausgelassen und waren hin und wieder in der Schule aus der Rolle gefallen. Doch Amanda hatte es schwerer. Als das mittlere Kind zwischen zwei Brüdern war sie schon immer besonders empfindlich, und als Teenager hätte sie den Vater gebraucht, und sei es nur als Gegengewicht zu den besorgten Blicken der Mutter. Sie begann, sich in Lumpen zu kleiden – so empfand Adrienne es zumindest –, und schloss sich einer Gruppe von jungen Leuten an, die abends nur in der Gegend herumlungerten. Im Laufe der nächsten zwei Jahre behauptete Amanda mindestens ein Dutzend Mal, über die Maßen in irgendeinen Jungen verliebt zu sein. Wenn sie von der Schule nach Hause kam, hörte sie in ihrem Zimmer so laut Musik, dass die Wände wackelten, und ignorierte es, wenn ihre Mutter zum Essen rief. Es gab Phasen, da sprach Amanda tagelang kaum ein Wort, weder mit ihrer Mutter noch mit ihren Brüdern.
So ging das ein paar Jahre, aber schließlich fand auch Amanda ihren Weg und gestaltete sich ein Leben, das Adrienne merkwürdig an ihr eigenes früheres Leben erinnerte. Im College lernte Amanda Brent kennen. Die beiden heirateten nach dem Abschluss und bekamen in den ersten Ehejahren zwei Kinder. Wie bei vielen anderen Paaren auch war ihre finanzielle Lage angespannt, aber Brent plante alles mit Bedacht, was Jack nie getan hatte. Als das erste Kind zur Welt kam, schloss Brent vorsorglich sofort eine Lebensversicherung ab, obwohl keiner von beiden damit rechnete, sie in nächster Zeit in Anspruch nehmen zu müssen.
Sie hatten sich geirrt.
Brent war seit acht Monaten tot. Er war einer besonders bösartigen Form von Hodenkrebs zum Opfer gefallen. Adrienne hatte mit ansehen müssen, wie Amanda in eine tiefe Depression versank, aus der sie sich bisher nicht befreit hatte. Als sie am Tag zuvor ihre Enkelkinder, die ein paar Tage bei ihr gewesen waren, zu Amanda zurückbrachte, waren die Vorhänge im Haus ihrer Tochter zugezogen gewesen. Das Licht auf der Veranda brannte, und Amanda saß im Bademantel im Wohnzimmer und hatte den gleichen leeren Blick wie am Tag der Beerdigung.
In dem Moment wusste Adrienne, dass es an der Zeit war, ihrer Tochter von ihrer Vergangenheit zu erzählen.
Vierzehn Jahre. So lange war es inzwischen her.
In all den Jahren hatte Adrienne nur einem einzigen Menschen davon erzählt, aber ihr Vater hatte das Geheimnis mit ins Grab genommen.
Als Adrienne fünfunddreißig war, starb ihre Mutter. Zwar hatte sie eine gute Beziehung zu ihr gehabt, aber ihrem Vater hatte sie sich immer besonders nahe gefühlt. Er war einer von den beiden Männern, so dachte sie noch immer, die sie je richtig verstanden hatten, und sie vermisste ihn schmerzlich.
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