Das lässt sich ändern
viel Zeit der Mensch darauf verwendet, möglichst Dinge zu tun, die die Existenz beenden, und sie sahen, wie das Unheil sich überall türmte, aber da hatte Adam seinerseits längst den Durchblick wiedergewonnen und mit beiden Händen seinen Kampf gegen die geschändete Zeit aufgenommen, einen heroischen Kampf für seine Kinder, für Anatol und Magali, die er nicht ins Unheil werfen würde, und er war nicht allein in diesem Kampf, sondern hatte längst den Bauern Holzapfel und die Özyilmaz angesteckt und auf seiner Seite, und selbst Fritzi, die bis zum ersten Crash im neuen Jahrhundert skeptisch war und bis heute gern frotzelt, wenn Adam sich wieder was ausgedacht hat, selbst Fritzi und ich haben längst nur noch pro forma ein Konto bei der Bank, weil es um andere Dingegeht, um Essen, Klamotten, um Arbeit und ein Dach überm Kopf.
Zunächst einmal sah Adam bei Holzapfel nach dem Rechten. Fritzi und ich fingen ambulant an, Geld zu verdienen. Die Diagnosen, mit denen meine Patienten kamen, hießen Parkinson, MS oder Lateralsklerose. Tinnitus. Downsyndrom. Die, die Krankheiten hatten, waren draußen, und sie lebten gefährlich, weil ihre Gesundheit in der neu angebrochenen Zeit kein Gut mehr war, sondern allmählich eine Ware und die Welt ein Markt.
Fritzi hatte es mit den Klassikern zu tun, Ängsten, Depressionen, Paarproblemen, Zwangsstörungen, dann kamen der Stress dazu und die Allergien, mit denen die Hautärzte nicht mehr zurande kamen.
Die Zeit der Analyse war längst vorbei, und niemand wunderte sich mehr darüber, dass Kohl gewählt und wiedergewählt wurde.
Wenn Adam sich bei Fritzi danach erkundigte, was genau sie mit den Patienten machte, weil er an seine Mutter dachte, die die meiste Zeit zugedröhnt war, sagte sie, keine Sorge, der Arzt, der deiner Mutter das Mandrax gegeben hat, müsste verknackt werden, und von mir kriegt auch keiner Neuroleptika; letztlich ist alles, was ich mache, mit den Leutensprechen, und je nachdem, worüber, heißt es dann tiefen- oder verhaltenstherapeutisch, aber eigentlich nur für die Krankenkasse.
Mein allererster Patient war Nico Grosser.
Fritzi hatte bei einem ihrer Sondierungsgänge die Praxis Grosser besucht, in der ein kleiner Junge wild herumtobte.
Ist das Ihrer, hatte Fritzi die Arzthelferin gefragt.
Taubstumm, hatte die Arzthelferin gesagt. Der Sohn von der Frau Doktor.
Gehörlos, hatte Fritzi gesagt. Stumm ist ohne Stimme.
Ruth Grosser war gerade aus einem ihrer Behandlungsräume gekommen und lachte.
Nett, dass Sie das so genau nehmen, sagte sie.
Nico hatte schon mehrere Tagesmütter und ein Au-pair-Mädchen in die Flucht getrieben. Er war in Anatols Alter.
Im Augenblick, sagte Frau Grosser, können wir nichts anderes machen, als ihn mit in die Praxis zu nehmen.
Vielleicht doch, sagte Fritzi, und ein paar Tage darauf fuhr ich zu einem ersten Besuch zu den Grossers, die mit Nico und dem zehn Jahre älteren Manuel etwas außerhalb von Ilmenstett in einem Haus wohnten, zu dem unsere Jugendstilbank gut gepasst hätte, aber die lag noch immer auseinandergenommen bei Fritzi im Keller.
Kommen Sie rein, sagte Ruth Grosser. Ihr Mann und der große Sohn waren neugierig, wer sich an Nico diesmal die Zähne ausbeißen würde, sie waren mir aus dem Wohnzimmer entgegengekommen, und so standen wir alle vier in dem riesigen Flur voller Nussbaummöbel, Gallé-Vasen und -Lampen, an einer Wand hing ein goldener Klimt, aber ich hatte keine Zeit, mich umzuschauen, denn im ersten Stock krachte es gewaltig, und dann kam das Kind die Treppe heruntergerollt und -gepoltert. Es war eindeutig neben der Spur.
Schmeißt sich gern auf den Boden. Oder wirft mit Sachen um sich, sagte Manuel und musterte mich amüsiert.
Als Nico unten nach seinem Treppensturz aufschlug, blieb er einen Moment liegen, dann stand er auf, tat, als wäre nichts gewesen und als hätte er mich nicht gesehen, obwohl ich sicher war, dass er seine Vorstellung für mich gegeben hatte, und schließlich ging er an uns vorbei zu einem der prächtigen Schränke, öffnete ihn und fing an, ihn auszuräumen. Mäntel, Jacken, Schals, alles raus auf den Boden.
Ruth Grosser sagte, Sie sehen ja.
Nach getaner Arbeit wandte Nico sich seinem Bruder zu, nahm Anlauf, sprang ihn an, klammerte sich mit den Beinen an ihn wie ein kleines Äffchen und boxte ihm mit den Armen gegen die Brust.
Manuel hielt ihm die Arme fest und küsste ihn zart auf die Haare.
Plötzlich stieß der Kleine einen Schrei aus,
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