Das launische Eiland.
und wieder stöhnend, denn die Wunden von den Peitschenhieben schmerzten noch immer. Zweimal durchquerte er so die ganze Kirche, vom Hauptaltar bis zum Eingangsportal und wieder zurück. Nachdem das Votum gelöst war, bildete sich der Prozessionszug, an dessen Spitze ein Meßbub ging, der auf einem seidenen Kissen die Kupfertafel trug, die Fonzio Vassallo in den Nachtstunden bemalt hatte. Darauf waren in der Mitte ein Schiff zu sehen, das entzweigebrochen sank, und ein paar Seeleute, die in den Fluten trieben und mit himmelwärts erhobenen Armen um Hilfe flehten. In einem Rund oben rechts war die Heilige Jungfrau, die sich gütig von einigen Wolken hinabbeugte, um nach einem den Sterblichen versagten Kriterium einige Auserwählte von ihnen zu retten und andere nicht. Links unten befand sich eine Schriftrolle, auf der stand: »Salvatore Barbabianca & Söhne für die erhaltene Gnade«. Doch um welche Gnade es sich handelte, stand nicht da, auch wenn der Untergrund des Exvotos schwefelgelb war, so daß jeder, der wollte, es verstehen konnte. Hinter dem Meßdiener kam die Dorfkapelle in vollem Aufzug, die die Ouvertüre zur »Diebischen Elster« von Rossini spielte, und dahinter folgte Padre Imbornone mit zwei Meßknaben, die ihn in Weihrauchwolken hüllten. Niemals war Padre Imbornone so glücklich und zugleich so verschreckt gewesen: Er war glücklich wegen dem, was er tat: wegen der Lästerlichkeit, der Gottesverhöhnung, die in diesem Augenblick in jeder seiner Handlungen, in jedem seiner Gebete lag; und Angst hatte er, denn wenn Gott tatsächlich existierte – und mit dieser Prozession forderte er ihn ja heraus, endlich einen Existenzbeweis zu geben –, hätte Gott ihn, da er endgültig die Nase voll hatte, mit einem Blitzschlag vom Angesicht dieser Erde entfernen müssen.
Neben ihm schritt vereint die ganze Familie Barbabian
ca: Don Totò, breitschultrig und gleichgültig, der sich umblickte, als ginge ihn die ganze Sache nichts an; Donna Matilde, die zum erstenmal in ihrem Leben in einem Gebetbuch las; Nenè, an Mariettas Seite, der sich alle Augenblick vor lauter Rührung die Brille abwischte; Stefanuzzo, der liebevoll von Heike gestützt wurde. Dann kamen die Diener, und unter ihnen ging zur Verwunderung des ganzen Dorfs – Blasco Moriones mit Augen, die dick geschwollen waren wie Melonen. Ihnen folgten auf dem Fuß sämtliche Lagerhalter von Vigàta mit Ausnahme von Don Ciccio Lo Cascio, und hinter den Lagerbesitzern die Rechnungsprüfer und die Angestellten, und dahinter wiederum die Lagerburschen, die zu diesem Anlaß ihren guten Anzug trugen. Allen zur Seite die Ehefrauen mit schwarzem Schleier auf dem Kopf. Die feierliche Prozession ging bis zur Biegung der Hafenmole, wo eine Säule mit einer Statue der Madonuzza hoch aufragte, die den Fischern, die ausliefen oder zurückkehrten, gute Fahrt wünschte und Trost spendete. Hier hielt der Zug inne, und während die Kapelle »Sei gegrüßt, o Königin« anstimmte, kletterte der Maurermeister Matteo Savatteri eine Leiter hinauf und mauerte genau am Fuße der Madonuzza die Kupfertafel von Fonzio Vassallo fest. Daraufhin kehrte die Prozession in Richtung Kathedrale um, wo sie sich auflösen sollte.
Die Dorfkapelle hatte beinahe ihr gesamtes Repertoire gespielt und just, als sie unter dem Fenster vorbeizog, »Du, der du zu Gott aufzufliegen die Flügel ausbreitetest« angestimmt, als Doktor Artidoro Carmina an Nino gewandt schlicht und einfach sagte: »Er ist tot.«
Von dem Augenblick an, da Nino sich Don Angelino Villasevaglios', der sich nicht mehr regen konnte, auf der Terrasse angenommen und ihn aufs Bett gelegt hatte, hatte er sich nicht wieder gefangen. Nur einmal in der Nacht hatte er dem Diener die Hand gedrückt und so leise mit belegter Stimme gemurmelt, daß Nino sein Ohr zu seinem Mund führen mußte, um ihn zu verstehen: »Nino, ist der Dampfer gekommen?«
»Er ist eingelaufen, er ist eingelaufen«, log der Diener und spürte, wie sein Gesicht unter dem schweren Atem des Sterbenden heiß anlief.
Bei dieser Nachricht verzog sich Don Angelinos Mund zu einem offenen Grinsen, einer Art verzerrtem Lachen über das ganze Gesicht. Jetzt, da er tot war, hatte er den gleichen Gesichtsausdruck, und wenn man ihn so ansah, bekam man es unweigerlich mit der Angst zu tun.
»Was soll ich tun?« fragte Nino den Arzt und meinte damit ebendiese stumme Lachfratze.
»Was willst du schon tun? Drück ihm die Augen zu«, erwiderte Doktor
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