Das launische Eiland.
war. Er hatte sich von den anderen Lagerbesitzern im Hause von Michele Navarria verabschiedet, die mit aus den Höhlen getretenen Augen zu Salzsäulen erstarrt und wie betäubt waren, als wäre an ihnen gerade der Verkündigungsengel vorübergegangen; dann war er im Teufelskaracho von Durrueli nach Vigàta gerast. Seine Stimme klang deswegen eher wie das Krähen eines verstimmten Hahns und nicht respektvoll, freundlich und heiter, wie eigentlich beabsichtigt. Er steckte nur den Kopf zur Tür des Lagerbüros Barbabianca hinein, blickte sich um und schien schon in dieser Haltung zu tiefen Bücklingen bereit. Zuerst erkannte er nichts, im Innern war es stockdunkel, nicht mal ein Lichtlein brannte, kein Laut war zu vernehmen.
»Ist da niemand?« rief er.
Da sah er ihn. Besser gesagt, er erkannte Don Totò nicht in ganzer Gestalt, sondern zuerst nur an seinen Augen, die starr und weit aufgerissen auf ihn gerichtet waren und wie die einer Katze phosphoreszierten. Er erschrak und schaute wortlos zu dem Alten, den er jetzt in der Dunkelheit deutlicher erkannte: Ein Fels in der Brandung, die breiten Schultern leicht gekrümmt, aber dennoch ganz ruhig, der große, breite Schnauzer umrahmte seinen Mund, der zu einem Grinsen verzogen war, wie angewidert, so kam es ihm vor; sein Brustkorb, der schon immer so breit wie ein Exerzierplatz gewesen war, hob und senkte sich friedlich beim Atmen, die Hände lagen gefaltet auf dem Schreibtisch, der über und über mit verschlossenen, prall gefüllten Kuverts bedeckt war.
Man sieht, daß Don Totò sich auf den Tod vorbereitete, wie Samson mit allen Philistern, dachte Ignazio Xerri mit einem Schauder, während er verzweifelt zu erraten versuchte, welcher der Umschläge die ausführliche Geschichte seiner eigenen, öffentlichen wie privaten, Vergehen enthielt, die Don Totò schwarz auf weiß festgehalten hatte, und der nun auf seine Verschickung wartete – beispielsweise an die Firma Tatafiore, die bei ihm ihre Schwefelvorräte lagerte, oder an seinen Vetter Carmelo, um ihm zu erklären, wie er, Ignazio, sich vor dem Notar Filippazzo anläßlich der Erbschaft Postulano verhalten hatte, oder an seine Gattin Sisina, um sie von seiner Liebelei mit Tana zu unterrichten. Weiterhin durchbohrten ihn diese schrecklichen Augen, seelenlos, ohne jede Gefühlsregung und Erbarmen, genau wie zwei Gewehrmündungen. Ganz langsam ging er, guten Abend murmelnd, was ohne Gegengruß blieb. Als er das Lager verlassen hatte, waren seine Knie mit einem Schlag butterweich.
Als sich der Wind gelegt und dem Regen das Feld überlassen hatte, eilte Agatino Cultrera nach Hause. Vor lauter Schwung in den Gliedern gestikulierte und schwankte er, wechselte von einer Straßenseite zur anderen, als verfolge ihn ein unsichtbarer Bienenschwarm. Ohne es zu merken, stand er auch schon oben auf der Treppe, riß die Tür auf und stürzte an den Schreibtisch. Da rutschte ihm das Herz in die Hose: Der Brief, in dem er das Verschwinden der Schwefelladung aus den Lagerräumen Barbabianca denunzierte, lag nicht mehr auf dem Tisch. Bei der Vorstellung, daß sein Sohn ihn möglicherweise zur Spedition gebracht oder ein Windstoß ihn durch das offenstehende Fenster auf die Straße befördert haben könnte, spürte er, wie sich jedes einzelne Haar auf seinem Kopf aufrichtete. Er sackte auf dem Stuhl zusammen; dieses Mal würde ihn ganz gewiß der Schlag treffen, hatte er doch nicht einmal mehr die Kraft, nach seiner Frau zu rufen, die um diese Uhrzeit im Eßzimmer an ihrer Klöppelarbeit saß. Mit einemmal sah er das Kuvert weiß schimmern. Sicherlich war es wegen des Luftzugs heruntergefallen und halb unter die Beinstütze gerutscht. Da er keine Lust hatte aufzustehen, streckte er nur den Fuß aus und zog den Brief zu sich heran, ließ dann aber den Schuh mit aller Kraft darauf stehen, als könnte das Papier jeden Augenblick auf und davon fliegen. Langsam begann er nun, das von Regen oder Schweiß nasse Gesicht zu trocknen.
»Du hattest recht! Du hattest einfach recht! Du bist ein Heiliger, ein wahrer Heiliger bist du!«
Nenè Barbabianca kniete am Fuß des Bettes und strich Öl auf die unzähligen offenen Wundmale seines Bruders Stefanuzzo, der mittlerweile beim dreißigsten Dankgebet für die Heilige Jungfrau angelangt war. Unter dem Heiligenbild der Madonna brannte eine Riesenkerze. In der Küche hatte Heike zwei Kübel Wasser zum Kochen aufgesetzt, um das Blut abzuwaschen, das selbst über die Wände ihres gemeinsamen
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