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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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Ordnung?« Als eine von meinen Schwestern einmal in der Einfahrt hinfiel und sich das Knie aufschlug, war Bobby ganz unglücklich. Er wusch die Wunde mit seinen großen Händen sauber. »So ein tapferes Mädchen. Gleich hast du’s überstanden.«
    Als Erwachsene zogen meine Schwestern nach Massachusetts. Aber ich ging nach New York, und das war bitter für meine Eltern: Sie sahen es als Verrat an unserer neuenglischen Abstammung, die bis ins siebzehnte Jahrhundert zurückreichte. Meine Vorfahren waren harte Hunde, so mein Vater, die einiges überlebten, aber in den Sündenpfuhl New York hatte keiner je einen Fuß gesetzt. Ich heiratete einen New Yorker, einen extrovertierten, wohlhabenden Juden, und das war ihnen noch suspekter. Meine Eltern besuchten uns nicht oft. Ich glaube, New York machte ihnen Angst. Ich glaube, mein Mann wirkte ausländisch auf sie, und auch das machte ihnen Angst, und meine Kinder waren ihnen erst recht unheimlich; frech und verzogen müssen sie ihnen vorgekommen sein mit ihren unaufgeräumten Kinderzimmern voller Plastikspielzeug und später mit ihren Nasenpiercings und blauen und lila Haaren. Entsprechend angespannt war unser Verhältnis lange Zeit.
    Aber als mein Mann im selben Jahr starb, in dem mein jüngstes Kind aufs College ging und wegzog, kam meine Mutter, die schon ein Jahr vorher Witwe geworden war, zu mir nach New York und strich mir über die Stirn wie früher, wenn ich als kleines Mädchen krank im Bett lag, und sagte, wie leid es ihr tue, dass ich in so kurzer Zeit meinen Vater und meinen Mann verloren hatte. »Kann ich dir irgendwie helfen?«
    Ich lag auf meinem Sofa. »Erzähl mir eine Geschichte«, sagte ich.
    Sie setzte sich in den Sessel am Fenster. »Hmm, mal überlegen. Susan Burgess’ Mann hat sie verlassen und ist nach Schweden gezogen – dem Ruf seiner Vorfahren gefolgt, was weiß ich. Er kam doch aus dieser winzigen Stadt ganz im Norden, New Sweden, erinnerst du dich? Bevor er dann auf die Universität ging. Susan lebt noch in Shirley Falls, mit diesem einen Sohn.«
    »Ist sie noch so hübsch?«, fragte ich.
    »Überhaupt nicht.«
    Und so fing es an. Wie bei einem Fadenspiel, das meine Mutter mit mir verband und mich mit Shirley Falls, reichten wir Erinnerungen, Neuigkeiten und Tratsch über die Burgess-Kinder zwischen uns hin und her. Wir berichteten und wiederholten. Ich erzählte meiner Mutter nochmals von meiner einzigen Begegnung mit Helen Burgess, Jims Frau, damals in unserer Zeit in Park Slope; die Burgess waren nach dem Packer-Prozess von Hartford nach Park Slope in Brooklyn gezogen, und Jim hatte bei einer Großkanzlei in Manhattan angeheuert.
    Mein Mann und ich hatten zufällig im selben Café in Park Slope zu Abend gegessen wie Helen, die mit einer Freundin da war, und beim Gehen blieben wir an ihrem Tisch stehen. Ich hatte Wein getrunken – sonst hätte ich sie wohl kaum angesprochen – , und ich sagte ihr, dass ich in derselben Stadt aufgewachsen war wie Jim. Ein Ausdruck huschte über Helens Gesicht, den ich nicht wieder vergaß. Etwas wie Furcht. Sie fragte nach meinem Namen, und ich sagte ihn ihr, und sie sagte, Jim habe mich nie erwähnt. Nein, ich war jünger, sagte ich. Und mit einem kleinen Schütteln strich sie ihre Stoffserviette glatt und sagte: »Ich war ewig nicht mehr dort. Nett, Sie beide kennenzulernen. Schönen Abend noch.«
    Meine Mutter war empört über Helens Reaktion. »Geldadel, was erwartest du? Natürlich hält sie sich für was Besseres als jemand aus Maine.« Ich hatte gelernt, über solche Spitzen hinwegzugehen; der Eifer, mit dem meine Mutter über ihr Maine wachte, regte mich mittlerweile nicht mehr auf.
    Aber nach der Sache mit Susan Burgess’ Sohn – nachdem in den Zeitungen, selbst der New York Times , darüber berichtet worden war und im Fernsehen auch – sagte ich bei einem unserer Telefonate zu meiner Mutter: »Ich glaube, ich schreibe die Geschichte der Burgess-Kinder auf.«
    »Gut ist sie«, stimmte sie zu.
    »Die Leute werden wahrscheinlich sagen, es gehört sich nicht, über jemanden zu schreiben, den man kennt.«
    Meine Mutter war müde an diesem Abend. Sie gähnte. »Du kennst sie doch gar nicht«, sagte sie. »Wen kennt man schon richtig.«

E RSTES B UCH

1
    Es war ein windiger Oktobernachmittag in Park Slope im Westen von Brooklyn, und Helen Farber Burgess packte für ihren Urlaub. Ein großer blauer Koffer lag aufgeklappt auf dem Bett, die Kleider, die ihr Mann am Abend zuvor herausgesucht hatte,

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