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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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Gekicher mit dem Baum. Das Feuer brannte herunter, Cully umkreiste es gedankenvoll, seufzte beim Erlöschen jeder einzelnen Kohle. Schließlich setzte er sich auf einen Baumstumpf und sprach den gefesselten Zauberer an.
    »Mag sein, dass du Haggards Sohn bist und nicht der Balladensammler Child, für den du dich ausgibst. Doch wer immer du bist, du weißt nur zu gut, dass Robin Hood die Legende ist und ich die Wirklichkeit bin. Keine Balladen werden sich um meinen Namen herum bilden, es sei denn, ich schreibe sie selber; kein Kind wird in seinem Schulbuch von meinen Abenteuern lesen und nach der Schule Captain Cully spielen. Und wenn die Professoren in den alten Schwarten und Geschichten stöbern, wenn Gelehrte die alten Lieder untersuchen, um herauszufinden, ob Robin Hood überhaupt gelebt hat, dann werden sie nie und nimmer auf meinen Namen stoßen, nicht mal am Sankt Nimmerleinstag. Aber du kennst ihn, und deshalb werde ich dir jetzt die Lieder über Captain Cully vorsingen. Er war ein fröhlichfrommer Draufgänger, der die Reichen beraubte und die Armen beschenkte. Aus Dankbarkeit verfasste das Volk diese einfachen Verse über ihn.«
    Worauf er sie alle sang, auch jenes Lied, das Willie Gentle schon für Schmendrick gesungen hatte. Er machte oft eine Pause, um die Rhythmusstrukturen, die assonierenden Reime und die Melodiemodalitäten zu kommentieren.

6

    ei der dreizehnten Strophe des neunzehnten Liedes schlief Captain Cully ein, und Schmendrick, der etwas früher zu lachen aufgehört hatte, versuchte augenblicklich, sich zu befreien. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen die Fesseln, doch ohne den geringsten Erfolg. Jack Jingly hatte ihn mit so viel Seil umwickelt, dass man ein kleines Segelschiff damit hätte takeln können, und seine Knoten waren so groß wie Kohlköpfe.
    »Ruhig Blut«, ermahnte er sich. »Kein Mensch, der die Macht besitzt, Robin Hood heraufzubeschwören – genauer: ihn zu erschaffen –, bleibt lange ein Gefangener. Ein Wunsch, ein Wort, und dieser Baum ist wieder eine Eichel am Ast, und dieser Strick hier wird wieder in einem Sumpfe grünen.« Aber schon bevor er seinen Wunsch aussprach, wusste er: Was eine Sekunde lang zu ihm gekommen, war wieder gegangen, und an seiner Stelle bohrte jetzt der Schmerz. Er fühlte sich wie eine leere Larvenhülle.
    »Tu, was du willst«, sagte er leise. Bei diesen Worten wachte Captain Cully auf und sang sogleich die vierzehnte Strophe:

    »Fünfzig Schwerter vor dem Haus, und weit’re fünfzig drinnen,
    da wird von uns, ich fürcht es sehr, kein einziger entrinnen!«
    »Kopf hoch!« ruft Captain Cully da, »frisch an den Feind heran,
    und wären’s tausend Schwerter, doch wir sind sieben Mann!«

    »Ich hoffe, sie schlachten dich!«, rief Schmendrick zu Cully hinüber, aber der schlief schon wieder. Der Zauberer versuchte ein paar einfache Entfesselungssprüche, aber ohne seine Hände ging es nicht, überdies fehlte ihm jetzt der Mut zu weiteren Tricks. Statt dessen verliebte sich der Baum in ihn, raunte ihm zärtlich zu, welche Freude man in der immerwährenden Umarmung einer Roteiche finden könne. »Für immer und ewig«, seufzte sie, »Treue, weit über das Grab hinaus. Ich werde mich noch an die Farbe deiner Augen erinnern, wenn niemand auf der ganzen Welt mehr deinen Namen im Gedächtnis hat. Es gibt keine irdische Unsterblichkeit – außer der Liebe eines Baumes!«
    »Ich bin verlobt«, entschuldigte sich Schmendrick. »Mit einer Lärche. Seit meiner Kindheit. Per Ehevertrag, nicht die geringste Möglichkeit einer eigenen Entscheidung. Hoffnungslos. Unsere Romanze wird es nie geben.«
    Ein Wutausbruch schüttelte die Eiche, so heftig, als würde sie allein von einem Sturm heimgesucht. »Galläpfel und Feuerbrand über diese Lärche!«, wütete sie. »Verdammtes Weichholz, verfluchte Konifere, trügerisches Immergrün, sie soll dich niemals haben! Wir wollen gemeinsam sterben, und alle Bäume werden unsere Tragödie in Ehren halten immerdar!«
    Schmendrick fühlte die Roteiche der Länge nach erbeben wie ein Herz, und er befürchtete, sie zerspränge vor Wut. Die Stricke schnitten ihm immer tiefer ins Fleisch, die Nacht färbte sich schon rot und gelb. Er versuchte der Eiche klarzumachen, dass Liebe nur groß, weil nicht unsterblich sei, und dann versuchte er, Captain Cully herbeizurufen. Doch er brachte nur einen winzigen, ächzenden Laut heraus, wie ein Baum. ›Sie meint es ja gut‹, dachte er, und ergab sich ihrer Liebe.
    Als er sich

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