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Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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leisten zu können.
    Erik starrte ihn feindselig an. Bergman lächelte versonnen. Ein Leben lang hatte er schauspielern müssen. Gefühle heucheln, die er nicht hatte, aber die von ihm erwartet wurden. Dinge sagen, an die er nicht glaubte. Alles, um seine Ziele im Leben zu erreichen. Alles, um seiner einzigen Leidenschaft zu dienen, der Wissenschaft. Jetzt, am Ende seines Weges, konnte er endlich ganz er selbst sein. Er fühlte sich frei wie nie, obwohl er hinter Gittern saß.
    »Unterstellen wir einfach mal – rein hypothetisch natürlich –, dass ich sie getötet hätte. Das Motiv liegt doch auf der Hand.« Er sah seinem unbekannten Sohn in die Augen. »Anna hätte nicht gezögert, mein Lebenswerk zu zerstören.«
    »Aber was hätte das noch ausgemacht?« Erik ballte die Fäuste. »Sie sind Mitte neunzig. Ihr Leben liegt hinter Ihnen. Sie haben doch alles erreicht, was es zu erreichen gab.«
    »Und das sollte auch so bleiben.«
    Sie maßen einander mit Blicken wie Sumoringer. Erik spürte, wie ein Hauch von Respekt von Bergman zu ihm herüberwehte.
    »Ich habe eine der größten Forschungsabteilungen für Neurologie und Genetik in den USA aufgebaut. Mein Name ist es, der den Sponsoren die Taschen öffnet. Was glauben Sie, was jetzt passieren wird?« Bergman lachte freudlos.
    »Und dafür haben Sie ein Menschenleben geopfert?«
    »Das ist die beschränkte Sicht der Dinge.« Er überlegte kurz und entschied sich für die Wahrheit. Nachdem auch die US-Medien die Sensation von seiner falschen Identität in die Welt hinausposaunten, hatte er nichts mehr zu verlieren. Ihm war egal, ob er als Mörder verurteilt wurde. Sein guter Ruf war ruiniert. »Anna war nicht die Einzige, die ich der Forschung opfern musste.« Er dachte kurz an seinen Freund Wolf, den KZ-Arzt, an Thorbjörn und die unerträgliche Schwester Ilse. »Aber nur so konnte ich unzähligen Menschen das Leben retten. Wenn man bedenkt, wie viele Menschen von meinen Forschungen profitiert haben, dann wurde jeder, den ich opfern musste, durch Hunderte, was sage ich, durch Tausende Leben aufgewogen.«
    »Menschenleben kann man nicht wiegen.«
    Bergman seufzte. Die Menschen waren zu beschränkt, um die Wahrheit zu erkennen.
    »Ich will es Ihnen anders erklären.« Er lehnte sich zurück und presste die Fingerspitzen der Hände dachförmig aneinander. Eine Dozentengeste, die er sich vor vielen Jahren gezielt angeeignet hatte.
    »Es gibt da ein psychologisches Experiment. Stellen Sie sich vor, ein Zug rast auf den Schienen dahin, direkt auf fünf Gleisarbeiter zu. Ein Stück weiter ist eine Weiche. Wenn Sie die Weiche umstellen, retten Sie die fünf Arbeiter. Dafür stirbt aber ein einzelner Mann, der auf dem anderen Schienenstrang arbeitet. Was tun Sie?«
    Erik war widerwillig fasziniert von der hypnotischen Stimme.
    »Ich würde die Weiche umstellen.«
    »Ganz genau.« Bergman nickte wohlwollend. »Das ist natürlich logisch. Ein Menschenleben für fünf. Aber nun wird es interessant.« Er beugte sich vor. »Stellen Sie sich vor, es gäbe keine Weiche, und Sie müssten einen Mann vor den fahrenden Zug stoßen, um den aufzuhalten. Würden Sie das auch tun?«
    Erik zögerte. Bergman lehnte sich zurück. »Ich sage Ihnen, was Sie tun würden: Sie würden nichts tun. Sie würden es vorziehen, dass die fünf sterben, statt anzupacken und direkt jemanden zu töten – so wie übrigens fast jeder. Die Leute nennen das Moral. Ich nenne es Schwäche.« Er beugte sich wieder vor und blickte Erik direkt in die Augen.
    »Ich bin anders. Ich würde den Mann vor den Zug stoßen. Ich habe dazu die nötige Kraft. Männer wie ich werden gebraucht. Wir bringen die Menschheit voran. Ihr, die Schwächlinge, ihr weigert euch, das anzuerkennen. Aber von dem, was Menschen wie ich geleistet haben, profitiert ihr gern. Wenn ihr einen Hirntumor habt. Oder Alzheimer. Oder einen Schlaganfall.« Er erhob sich und gab dem Wärter ein Zeichen.
    »Leb wohl, Erik Florin«, sagte er. Er ging hinaus. Es sah eher so aus, als sei der Aufseher sein Leibwächter und nicht sein Wärter.
    Erik fühlte sich schockgefroren. Was Bergman erzählt hatte, klang einleuchtend. Hatte der Mann tatsächlich recht? Erik schüttelte benommen den Kopf. Irgendwo war ein Denkfehler. Er konnte ihn nur so schnell nicht finden.

Epilog
     
    An der Elbe
     
    Freitag, 13. März 2009
    Theo stand auf dem Deich. Der Wind blies stark, aber viel wärmer als seit Monaten. Er schmeckte nach Tang, Teer und der großen weiten

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