Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)
öffentlich für eine andere Sterbekultur starkmachen, appelliert er an seine Fachkollegen: »Es geht darum, die eigene Sterblichkeit anzunehmen und ihr im eigenen Leben Raum zu geben.«
Vor allem in der Hospizbewegung wird das Problem seit langem wahrgenommen, und man versucht hier, neue Wege zu gehen. Ambulante und stationäre Hospizdienste bieten Begleitung für Sterbende und werden dabei in Deutschland von mehr als 80 000 ehrenamtlichen Kräften unterstützt. Im medizinischen Bereich wurde – auch angesichts der großen Resonanz auf die Hospizbewegung – ebenfalls reagiert: Hier entwickelte sich in den letzten Jahren die Palliativmedizin, die mit neuen Formen der Schmerzbekämpfung und Pflege am Lebensende die erkannten Missstände beheben soll.
Das öffentliche Unbehagen kommt nicht nur in der Debatte zur Sterbekultur zum Ausdruck. Wir befinden uns in Deutschland auch inmitten einer stillen Revolte gegen die Enteignung und Entpersönlichung von Tod und Trauer. Diese Revolte richtet sich gegen eine Verregelung, deren Wurzeln zum Teil weit in die Vergangenheit zurückreichen und die den Lebensstilen und -bedürfnissen unserer Zeit nicht mehr entspricht.
Noch bis vor wenigen Jahren stand außer Frage, dass ein Toter auf einem Friedhof zu beerdigen sei. Der Staat und die Kirchen gaben die Regeln und gesellschaftlich akzeptierten Rituale weitgehend vor. Doch die Menschen, die in allen sonstigen Lebensbereichen Anspruch auf Individualität erheben, sind immer weniger bereit, diesen Regeln widerspruchslos zu folgen und sich einer standardisierenden Sterbekultur unterzuordnen. Die Konflikte werden inzwischen auch mit juristischen Mitteln an den Gesetzgeber herangetragen.
Am 4. Juni 2003 verabschiedete der nordrhein-westfälische Landtag ein neues Bestattungsgesetz. Vorausgegangen war die Klage eines Ehepaares, das persönliche Eigentumsrechte an der Asche verstorbener Angehöriger geltend gemacht hatte. Sie wollten die Asche im eigenen Garten verstreuen und zugleich ein elementares Freiheitsrecht einklagen, solche Asche in Verbindung mit anderen Bestandteilen als einen festen Erinnerungskörper individuell gestalten zu können, etwa in Form einer gusseisernen Plastik. Nach Ansicht des Gerichts widersprachen die Wünsche der Kläger den geltenden rechtlichen Bestimmungen zur Würde und Ruhe der Toten. Die Auseinandersetzung fand große öffentliche Beachtung. Sie ist Beispiel dafür, dass die weithin aus dem Jahr 1934 stammenden deutschen Landesgesetze zum Bestattungswesen dem Anspruch auf Individualität und der sinkenden Bedeutung der Kirche nicht mehr gerecht werden.
Das nordrhein-westfälische Bestattungsgesetz mit seiner Öffnung für unterschiedliche Beisetzungsformen markiert eine Zäsur. Zwar wurde der Friedhofszwang für Urnen nicht aufgehoben, aber das Verstreuen von Totenasche an »dauerhaft öffentlich zugänglichen« Orten ist nun unter sehr engen Restriktionen erlaubt. Auch dem Grundrecht auf Religionsfreiheit suchten die Gesetzgeber zu entsprechen und lockerten im Blick auf jüdische und muslimische Bestattungsrituale den »Sargzwang«: Verstorbene dürfen auch in Tücher eingewickelt begraben werden. Damit entspricht das Gesetz den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen in Deutschland hin zu einer multireligiösen Gesellschaft, in der neben Christen vieler Konfessionen auch Muslime und Gläubige aus anderen Religionsgemeinschaften leben.
Doch nach wie vor sind diejenigen Bestatter, Kommunen oder Kirchenvertreter, die auf den Wunsch nach Individualisierung eingehen, in der Minderheit. Die nicht nur erlauben, sondern dazu ermutigen, den eigenen Abschied oder den Abschied eines Angehörigen selbst (mit) zu gestalten.
Für viele Betroffene sind nicht mehr Kirche oder Gemeinde die richtigen Ansprechpartner. Sie waren es bis zum Ende des 20. Jahrhunderts und gaben dem Tod und der Trauer eine verbindliche Form: Ein Toter war auf dem Friedhof zu beerdigen und zwar mit kirchlichem Segen. Friedhofssatzungen schrieben ein gleichsam sozialistisches Nebeneinander der Toten fest und sorgten für Gleichheit (und Gleichförmigkeit). Diese Formalisierung löst sich allmählich auf, und die Sterbe- und Trauerkulturen in Deutschland erleben einen vielschichtigen Wandel.
Seit langem wächst die Zahl der Menschen in Deutschland, die außerhalb des Friedhofs bestattet werden möchten. Schon eine im Mai 1998 vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführte Umfrage zum Thema »Tod und Grabkultur« belegt, dass
Weitere Kostenlose Bücher