Das Licht, das toetet
tot.“
Ihre Augen taten weh. Sie waren sicher ganz rot. Das letzte Mal hatte Chiyo so viel geweint, als ihre Eltern gestorben waren. Sobo hatte ihr erzählt, dass sie drei Tage durchgeweint hatte, nachdem sie nicht mehr aus Argentinien zurückgekehrt waren.
Inzwischen fühlte sich Chiyo mehr verwirrt als traurig, doch sie wusste, dass die Trauer um Sobo sie in Kürze wie ein Schnellzug treffen würde. Sie brauchte nur ein paar Stunden Abstand von all den Anschuldigungen und der Hektik.
Chiyo war schon öfter auf einer Polizeiwache gewesen, wenn auch nicht in diesem Distrikt von Tokio. Dieses Mal jedoch war es anders. Zwei Beamte hatten sie wie eine Schwerkriminelle an den Tresen gedrückt. Ihre Personalien waren aufgenommen, ihre Taschen geleert und ihre Fingerabdrücke genommen worden. Dann hatten sie Chiyo in einen kleinen Raum geführt, durch das Großraumbüro, in dem die Ladendiebe, Prostituierten und Falschparker abgefertigt wurden.
Das Verhörzimmer hatte kein Fenster, nur eine große Belüftungsanlage an der Decke. Von draußen drang dennoch das Hupen der Autos und das Knattern der Roller herein. Der Verkehr schwappte in Tokios Straßen wie ein zäher Brei hin und her. Über acht Millionen Menschen lebten in Tokio, weitere 30 Millionen in den Randgebieten, im Ballungsraum jenseits der Wolkenkratzer. Chiyo hatte einmal von einem Gott namens Moloch gehört. Einem bösen Geist, der mit seinem Feuer Menschen verschlang. Tokio war für sie dieser Gott. Ein Moloch, in dessen Magen sie bis jetzt jedoch immer gut Unterschlupf gefunden hatte.
Im Gegensatz zu ihren vorigen Besuchen auf einer Polizeistation war kein Streifenpolizist gekommen, der ihre Aussage lustlos in einen PC getippt hatte. Stattdessen hatte eine aalglatte Hosenanzugträgerin mit einer Plastickarte am Revers Chiyo mitgeteilt, dass sie ihr einen Anwalt rufen würde und Kommissar Kenichi entschuldigt, der noch immer in ihrem Haus sei, um Spuren zu sichern.
Das Schlimmste aber war die Sporttasche, die sie Chiyo vor die löchrigen Turnschuhe gestellt hatten. Offensichtlich hatten Kenichi oder seine Männer in ihren Sachen gewühlt und ihre Ramones-Shirts, zwei rosa Faltenröckchen mit Rüschen und ihre geringelten Stretchhosen zusammengepackt. Sogar vor ihren BHs und Slips hatten sie nicht Halt gemacht.
Der Gedanke, dass sie ihre Unterwäsche angefasst hatten, regte sie weniger auf als die Tatsache, dass die Sporttasche einen längeren Aufenthalt bedeutete.
Diese Idioten geben wirklich davon aus, dass ich länger hier bleibe. Die glauben tatsächlich, ich hätte Sobo umgebracht.
„Haben Sie nach meinem Spielzeug gefragt?“ Chiyo setzte eine versöhnliche Miene auf. „Ohne mein Spielzeug kann ich mich nämlich überhaupt nicht entspannen.“ Sie ließ eine Kaugummiblase zerplatzen.
Die Beamtin lächelte und legte zu Chiyos Erstaunen eine Plastiktüte auf den Tisch. „Ich habe den Roboter auf deinem Nachttisch gefunden. Ich hoffe, es ist der Richtige. Setz dich aber bitte an den Tisch und trink etwas.“ Sie stellte eine Plastikflasche Gerolsteiner hin. Chiyo fragte sich, ob sie sich mit dem Modegetränk der Jugendlichen bei ihr einschleimen wollte.
„Und Kaugummi raus!“
Chiyo setzte sich wie befohlen und nahm ihren Kaugummi aus dem Mund. Die Beamtin streckte ihr ein Taschentuch hin. Chiyo nahm es dankend, pappte aber den Kaugummi unter die Tischplatte.
„Wann ist der Anwalt da?“
„In ungefähr zwei Stunden. Er hat angerufen, steckt im Wan-Tunnel fest. Es gibt wohl eine Vollsperrung.“
Obwohl Chiyo sich nicht sicher war, ob es nicht reine Taktik war, sie warten zu lassen, nickte sie. Sie wollte nicht länger auf Konfrontation gehen, auch wenn es ihr schwerfiel.
Höflich bedankte sie sich und trank einen Schluck Wasser. Es war warm im Raum. Da es kein Fenster gab, wusste Chiyo nicht, wie spät es inzwischen war. Sie schätzte, dass es kurz nach Mittag war. „Und danke auch dafür.“ Sie deutete auf die Plastiktüte, die ihr die Beamtin prompt herüberschob.
„Ich habe dir auch deine PSP mitgebracht.“
„Danke. Haben Sie auch Yutaka Kishii verhaftet?“
„Kenichi-San geht gründlich allen Spuren nach“, erwiderte die Frau vage und lächelte. Ein Lächeln wie vor dem Spiegel geprobt.
„Ich war es nicht! Ich bring doch nicht meine Großmutter um, das müssen Sie mir …“
„Spar dir deine Erklärungen für Kenichi und den Anwalt auf.“ Sie nickte zum Abschied. Bevor Chiyo noch etwas sagen konnte, hatte sie bereits
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