Das Licht Von Atlantis
» Domaris .« Er sprach den Namen aus wie ein Gebet.
Domaris war, als könne sie nie wieder sprechen, als sei die Quelle der Sprache für immer versiegt und die Welt werde bis ans Ende aller Ewigkeit stumm bleiben. Endlich öffnete sie die blassen Lippen, und ihre Stimme klang klar und beinah triumphierend durch das Schweigen. »Es ist gut, mein Geliebter. Geh in Frieden.«
Micons bleiches Gesicht war unbeweglich, aber seine Lippen verzogen sich zu der Andeutung seines alten strahlenden Lächelns. »Liebe meines Lebens«, hauchte er, und dann noch leiser: »Herz - der Flamme -« ein Atemzug und ein Seufzer verklangen.
Domaris beugte sich vor, doch dann ließ sie die leeren Arme mit einer kleinen, verzweifelten Geste fallen.
Riveda trat an das Bett, blickte in Micons heiteres Gesicht und schloss ihm die toten Augen. »Es ist vorbei«, sagte der Adept voll echten Bedauerns. »Welcher Mut, welche Kraft - und welche Vergeudung!«
Domaris erhob sich und richtete ihre tränenlosen Augen auf Riveda. »Das ist Ansichtssache, Riveda«, erklärte sie. »Es ist unser Triumph! Deoris - gib mir meinen Sohn.« Sie nahm Micail in die Arme, und das Leid auf ihrem Gesicht verklärte sich zu einem unirdischen Leuchten. »Sieh unser Kind - und unsere Zukunft! Kannst du mir etwas Gleichwertiges zeigen?«
»Es ist in der Tat dein Triumph, Domaris«, gab Riveda zu und verbeugte sich tief.
Deoris kam und wollte das Kind wieder nehmen, aber Domaris hielt es fest. Mit zitternden Händen streichelte sie ihren kleinen Sohn. Nach einem letzten tiefbewegten Blick auf das dunkle, stille Antlitz, das Micons Gesicht gewesen war, wandte sie sich ab, und die Männer hörten ihr geflüstertes, hilfloses Gebet: »Hilf mir - o Du, der Du bist!«
Dann ließ sie sich von Deoris ohne Zögern hinausführen.
Die Nacht war kalt. Der Vollmond ging früh auf und überflutete den Himmel mit einem Glanz, der die Sterne fast auslöschte. Gleich über dem Horizont glühten blassrote Feuer am Meeresdeich, und im Norden zeigten sich Geisterlichter, blau und tanzend.
Riveda, zum ersten und zum letzten Mal in seinem Leben in das fleckenlose Weiß der Priesterkaste gekleidet, ging gemessenen Schrittes vor Micons Wohnung auf und ab. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, warum er - und nicht Rajasta oder ein anderer der Wächter - für diese Wache ausgewählt worden war; er war sich nicht mehr sicher, warum Micon sich zum Schluss gerade seiner Hilfe bedient hatte. War Vertrauen oder Misstrauen der hauptsächliche Beweggrund gewesen?
Ihm war klar, dass der Atlanter ihn, zumindest in gewisser Weise, gefürchtet hatte. Aber warum? Er war doch kein Schwarzmantel! Trotz verschiedener Erklärungsmöglichkeiten vermochte Riveda dieses Rätsel nicht zu lösen und er liebte es ganz und gar nicht, vor einem unlösbaren Problem zu stehen. Trotzdem hatte er heute Abend ohne Protest oder inneres Widerstreben die graue Robe abgelegt, die er so viele Jahre getragen hatte, und sich in die rituellen Gewänder des Lichts gekleidet. Er fühlte sich seltsam verwandelt, als habe er mit dem Gewand auch etwas von dem Charakter dieser so gewissenhaften Priester angelegt.
Zu all dem war er von tiefem Leid und dem Gefühl einer Niederlage erfüllt. In Micons letzten Stunden hatte die Schwäche des Atlanters Riveda auf eine Weise beeindruckt, wie seine Stärke es nie hätte tun können. Seine nur widerwillige und mürrische Achtung vor Micon war aufrichtiger Zuneigung gewichen.
Es geschah selten, dass Riveda sich von einem Ereignis aus der Fassung bringen ließ. Er glaubte nicht an Vorherbestimmung - aber er wusste, dass feine Fäden durch die Zeit und das Leben der Menschen liefen und dass man sich in ihnen verfangen konnte. Das war Karma , und dieses, so dachte Riveda grimmig, war wie die Lawinen seiner heimatlichen Berge im Norden. Nur ein einziger Stein brauchte sich unter einem unvorsichtigen Tritt zu lösen, und alle Kräfte der Welt und der Natur konnten die Bewegung, die er in Gang setzte, nicht um einen Zoll aufhalten. Riveda erschauerte. Irgendwie war er überzeugt, dass Micons Tod auf sie alle das Verhängnis herabbeschworen hatte. Dieser Gedanke war ihm jedoch nicht schrecklich. Riveda zog es nämlich vor, zu glauben, er könne sein Geschick selber meistern und sich allein mit seinem Willen und seiner Kraft einen Weg durch die Fallgruben des Karma suchen.
Mit gesenktem Kopf wanderte er weiter auf und ab. Der Orden der Magier, bekannt als die Graumäntel, war alt, und
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