PR TB 008 Am Rand Des Blauen Nebels
1.
Die Herbstnacht war sternenklar und kalt. Zwischen den Büschen
stieg dünner Nebel auf und begann sich zu verteilen. Die Gegend
war einsam und nur drei breite Highways kreuzten sich einige hundert
Meter von der Energiestation entfernt. Ein Wagen schoß in
rasender Fahrt vorbei; seine Scheinwerfer rissen für kurze
Momente Bäume, Schilder und Hauswände aus dem Dunkel -dann
herrschten wieder Ruhe und Einsamkeit. Ein Käuzchen begann zu
schreien, hoch und klagend. Es klang wie das Weinen eines Kindes.
Eine Lampe schaltete sich automatisch ein - die visuelle
Weckanlage.
Aus dem gläsernen Kasten, der zwischen der Straße und
dem weiten Hof der Energiestation stand, drang Licht auf den
schwarzen Asphalt. Der Mann vom Nachtdienst schüttelte
verschlafen den Kopf, sah auf seine Uhr und schwang die Beine von der
Liege herunter. Die Schuhe standen auf dem Radiator der Heizung und
waren warm. Die Hand des Mannes griff nach einer Zigarettenschachtel;
Sekunden später flammte das Feuerzeug auf und beleuchtete ein
blasses, unrasiertes Gesicht.
„Ein Uhr", sagte der Mann halblaut zu sich, ging zu dem
kleinen Radio-Visiphon hinüber und schaltete es ein. „Wecken
wir die Brüder auf!"
Er blieb vor der gläsernen Tür stehen, reckte sich, nahm
eine große Stablampe auf und drehte den Schlüssel herum.
Die Tür ging auf, und die kalte Nachtluft machte den Mann
vollends wach.
Der Energiewart schloß hinter sich sorgfältig ab, warf
einen kurzen Blick auf die Energiesäulen, deren Zifferblätter
hell erleuchtet und in Nullstellung waren. Dann bewegte er sich
langsam quer über den dunklen Hof, auf den mächtigen
Antigravschlepper zu, der in einer Ecke stand und alle Maschinen
stillgelegt hatte. Die Ladefläche mit einem Maschinenaggregat,
das eine zerrissene Segeltuchplane verdeckte, stand auf den breiten
Stützen und schwebte nicht wie sonst kniehoch über dem
Boden.
Der Mann ging langsam um den Lastzug herum, stellte seinen Fuß
auf die unterste Sprosse einer Metalleiter und zog sich hoch. Die
Lampe warf ihren Lichtkegel in das Innere der Fahrerkabine. Das Licht
wanderte über Armaturen, blinde Schirme und erloschene
Kontrollen, über das große Steuerrad und über die
schlafenden Gestalten zweier junger Männer, die in den
Klapplagern ruhten. „Ein Uhr", sagte der Mann.
„Aufstehen!"
Er öffnete die breite Tür, auf der eine verwaschene
Schrift angebracht war. Die Nachtluft drang in die Kabine, und einer
der Schläfer begann unruhig zu werden.
„He!" rief der Energiewart lauter und rüttelte an
der Schulter des Fahrers, „ihr habt lange genug geschlafen!"
Nachdem die Lampe ihm ins Gesicht leuchtete, jemand unaufhörlich
sprach und außerdem seine Schulter gepackt hielt, wachte der
Fahrer auf und sah den Mann verständnislos an.
„Was ist denn los?" fragte er heiser, dann erinnerte er
sich. „Verdammt", sagte er, „ist es schon wieder
soweit?"
„Jawohl", sagte der andere. „Ihr könnt jetzt
fahren. Wenn ihr euch waschen und rasieren wollt... dort drüben.
Wir haben sogar warmes Wasser. Kaffee gibt es bei mir im Büro."
„In Ordnung", antwortete der Fahrer, „wir kommen
gleich. Gibt es bei dir Zigaretten?"
„Drüben an der Mauer ist ein Automat."
„Danke."
Der Mann vom Nachtdienst ließ die Kabinentür geöffnet,
ging in sein Büro zurück und drückte den Knopf der
Kaffeemaschine. Dann drehte er an den Abstimmschrauben des Visiphons
und schaltete eine weitere Lampe ein. Er wartete eine Viertelstunde.
Dann kamen zwei junge Männer durch die Glastür und
blieben neben dem Schreibtisch stehen. Sie trugen Rollkragenpullover
und Leinenhosen und hatten Zigaretten zwischen den Fingern. Drei
müde, unausgeschlafene Männer sahen sich an. Aus dem
Lautsprecherteil des Bildgerätes kam Musik.
„Drei Kaffee", sagte der größere der beiden.
„Drei?" fragte der Mann hinter dem Schreibtisch. Er
stellte drei Plastiktassen vor sich auf die Schreibtischplatte und
schob die erste unter den Hahn der Maschine. Ein Strahl
kochendheißen, schwarzen Kaffees lief ein.
„Für dich die dritte", sagte der kleinere.
„Danke."
Eine Weile war es still. Die Männer rührten in den
Tassen, der Rauch der Zigaretten stieg vom Aschenbecher in die Höhe,
dann fragte der Fahrer:
„Du siehst nicht nach einem richtigen Energiewart aus,
Junge."
„Bin ich auch nicht", sagte der Mann hinter dem
Schreibtisch. „Student in Semesterferien. Für ein paar
lumpige Solar schlage ich mir hier die Nächte um meine
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