Das Licht Von Atlantis
völlig auf Micon und das Kind, das sie erwartete. Deoris wusste, dass das Warten beiden schwer wurde; es würde noch über einen Monat dauern, bis Micons Sohn zur Welt kam. Die Zeit bis dahin war für sie eine Freude und zugleich eine unerträgliche Qual.
Die Bronzetüren fielen mit lautem Dröhnen zu. Sie standen in einem langen, schmalen und ziemlich finsteren Korridor, der an Reihen geschlossener Steintüren entlang lief. Die geisterhafte Gestalt des Chela war nirgends mehr zu erblicken.
Ihre Schritte verklangen lautlos. Die Luft war wie tot. Deoris, die stumm neben Riveda ging, spürte, welche elektrische Spannung dieser Mann ausstrahlte, eine verhaltene Kraft, die in ihren Nerven vibrierte... Am Ende des Korridors befand sich eine eisenbeschlagene Rundbogentür. Riveda gab Klopfzeichen in einem merkwürdigen Rhythmus, und von irgendwoher antwortete eine hohe, schrille, körperlose Stimme in unverständlichen Silben. Riveda antwortete in ebenso seltsamen Worten. Eine unsichtbare Glocke läutete, dass es laut durch die Luft tönte, und die Tür schwang nach innen.
Sie traten in eine seltsame graue Welt.
Es mangelte zwar nicht an Licht, aber es gab weder Wärme noch Farbe. Die Beleuchtung war nur ein bloßer Schimmer, eher fehlende Dunkelheit als wirkliches Licht. Der Raum war ungeheuer groß und verlor sich weit oben in einem trüben Grau, das wie schwerer Nebel oder in der Luft stehender Rauch aussah. Der Boden unter ihren Füßen war aus grauem Stein, kalt und mit Kristall und Glimmer gesprenkelt. Die Wände hatten das durchscheinende Glitzern von Mondlicht im Winter. Die wie Nebelschwaden in dem bleichen Glanz herumhuschenden Gestalten waren ebenfalls grau, finstere Schatten in den grauen Kapuzenmänteln der Zauberer; auch Frauen waren unter ihnen, und sie bewegten sich unruhig, gleich in Ketten gelegten Flammen, eingehüllt in safranfarbene Schleier von trüber Farbe und beinahe lichtlos. Deoris warf verstohlene Blicke auf die Frauen, doch da drehte Riveda sie behutsam um, und sie erblickte - einen Mann.
Es mochte ein Mann oder eine hölzerne Statue sein, ein Leichnam oder ein Automat. Er war da. Das war alles. Er existierte wie mit seltsamer Endgültigkeit. Er saß auf einem erhöhten Podest an einem Ende der riesigen Halle, auf einem großen thronähnlichen Sessel, und ein Vogel, aus grauem Stein gehauen, schien über seinem Kopf zu schweben. Seine Hände lagen gekreuzt über der Brust. Deoris fragte sich, ob Er wirklich dort war oder ob sie Ihn nur träumte. Unwillkürlich zitierte sie flüsternd: »Wo der Mann mit den gekreuzten Händen sitzt...«
Riveda beugte sich zu ihr und raunte: »Bleib hier und sprich mit niemandem.« Damit ging er. Deoris sah ihm sehnsüchtig nach und dachte, seine aufrechte Gestalt habe trotz des verhüllenden grauen Kapuzenmantels eine Art von Schärfe, als sei nur er allein klar umrissen, während alle anderen schattenhaft waren, wie Träume innerhalb eines Traums... Dann entdeckte sie ein Gesicht, das sie kannte.
Halb hinter einer der Kristallsäulen verborgen, stand aufrecht ein junges Mädchen und beobachtete Deoris scheu, ein Kind, hochgewachsen, aber schmächtig, mit einem unter dem safranfarbenen Schleier sichtbaren noch unentwickelten Körper und einem kleinen feingeschnittenen Gesicht, das von dem unbestimmten Licht beschienen wurde. Hell wie Rauhreif fiel ihr das Haar um die Schultern, und der verhaltene Schimmer des Lichts glitzerte in ihren aufmerksamen, aber beinahe farblosen Augen. Die durchsichtige Gaze um ihren Körper flatterte leicht wie in einem kaum spürbaren Wind. Sie schien gewichtlos zu sein, ein Nebelhauch, eine Ahnung von Schneeflocken in der eisigen Luft.
Deoris hatte sie schon außerhalb dieses unheimlichen Ortes gesehen, und wusste, dass es sie wirklich gab. Dies silberblonde Mädchen schlüpfte manchmal wie ein Geist in Karahamas Räume hinein oder aus ihnen heraus. Karahama sprach nie von dem Kind. Deoris hatte aber von anderen erfahren, dass dies Mädchen zu den Namenlosen gehörte und von der damals noch ausgestoßenen Karahama geboren worden war... Ihre Mutter, so hieß es, nannte sie Demira, und trotzdem hatte sie keinen wirklichen Namen. Nach dem Gesetz existierte sie überhaupt nicht.
Kein Mann hätte Demira als seine Tochter anerkennen können, auch wenn er es gewollt hätte, kein Mann konnte Anspruch auf sie erheben oder sie adoptieren. Auch Karahamas rechtliche Stellung war ja fragwürdig - aber Karahama hatte als Tochter einer
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